: Darsteller und Denklöcher
Vorhang zu und die meisten Fragen offen: Das dritte Colloquium zum Berliner „Holocaust-Denkmal“ endet mit dem Eingeständnis von „Beratungsbedarf“. Mitleidsgebotler stehen gegen Abbildbarkeitsnegierer ■ Von Mariam Niroumand
Mit deutlich milderen Worten hatte der Berliner Kultursenator Peter Radunski die dritte Runde der Colloquien zum „Holocaust- Denkmal“ eingeläutet. Statt, wie bislang, darauf zu beharren, daß Ort (Ministergärten), Termin (27. Januar 1999) und Kosten (15 Millionen Mark) feststehen und daß auch eine erneute Ausschreibung nicht in Frage kommt, räumte er am Freitag ein, es bestehe „Beratungsbedarf“ unter den Auslobern. Besonders zum geplanten Standort habe es etliche Alternativvorschläge gegeben, die nun von Bundesregierung und Bundestag zu prüfen seien – zumal die favorisierten Alternativen das Denkmal in größere Nähe zum künftigen Regierungssitz rücken würden. Während die Bundesregierung – durch deren Intervention es ja überhaupt erst zu dem Prozeßstau nach Abschluß des Wettbewerbs 1995 gekommen war – lediglich durch schweigsame Beamte vertreten war, kristallisierte sich im Laufe der drei beinharten Beratungsrunden eine immer tragendere Rolle des Bundestags heraus. Alles scheint auf die von Peter Conradi (SPD) vorgeschlagene Stiftung hinauszulaufen, in der neben Bundesregierung und Bundestag auch der Berliner Senat und das Abgeordnetenhaus, der Förderkreis um Lea Rosh, der Zentralrat der Juden und andere Institutionen vertreten sein sollen.
Legitimation durch Verfahren
Was dann folgte, war zwar zeitweise recht quälend, rollte aber den mühsamen Prozeß weiter in Richtung „Legitimation durch Verfahren“. Zunächst intervenierte die Kunsthistorikerin Kathrin Hoffmann-Curtius, der die Verkürzung der Redezeit ebenso unerträglich war wie die Tatsache, daß nun die Bahn frei sei für ein „nationales Gründungsopfer“ der Berliner Republik, die nichts Eiligeres zu tun habe, als sich des „Kainsmals“ auf der deutschen Stirn entledigen zu wollen, das doch aber für alle Zeiten bleiben und jedes Mahnmal überbieten werde. Sprach's und verließ den Saal.
Daß der Auftritt nicht so rechten Eindruck zu machen vermochte, lag wohl daran, daß der Zug so offensichtlich in die Gegenrichtung unterwegs ist: Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth hatte beim zweiten Colloquium erkennen lassen, eine größere Nähe des Mahnmals zu den Regierungsbehörden sei erwünscht, und das nicht etwa leise und beschaulich, sondern „radikal, eindringlich, provozierend“. In der Tat scheint die entstehende Berliner Republik sich die Sache zu eigen machen zu wollen, aber nicht, um sie triumphal verschwinden zu lassen, sondern eben genau in dem von der Linken immer geforderten Sinn: Schuldbekenntnis, Verantwortungsgefühl und Trauer sollen zum Ausdruck kommen, und zwar da, wo es weh tut, mitten im Repräsentationsgelände.
Vielleicht wollte Lea Rosh, durch deren Initiative der Wettbewerb für das Mahnmal in Gang gekommen war, mit ihrer anschließenden Polemik gegen die „Blockierer“ im „vornehmlich intellektuellen Kulturestablishment“ (und bei den Colloquien) auf diesen Zusammenhang hinaus: daß gerade diejenigen, deren berechtigte Forderung eine öffentliche, nationale Demonstration deutscher Schuld seit den sechziger Jahren war und ist, nun irgendwie vor ihrem eigenen Erfolg zurückzuschrecken scheinen. Immer wird ein solches Staatsbekenntnis zugleich gefordert und verdächtigt, eine Double- bind-Situation, die mitunter zur völligen Paralyse der Auseinandersetzung zu führen drohte.
Verhinderungsformeln der Postmoderne
Aber auch mit Roshs unnötigerweise im Einschüchterungston vorgebrachter Beschwörung des Mannes von der Straße, der ihr in vielen Briefen seinen Unmut über die Verschleppung des Baus zu verstehen gegeben habe, liegt sie nicht so völlig daneben, wie es die Unmutsbekundungen nahelegten. Bei den anschließenden Einlassungen zum Thema Ikonographie, dem das dritte Colloquium gewidmet war, wurde nämlich deutlich, daß es eine ästhetische Strategie gibt, die einer Verhinderung nahekommt. Nachdem Christoph Stölzl, Direktor des Deutschen Historischen Museums, eine Typologie bereits gebauter Holocaust- Denkmäler vorgestellt hatte, die von einigen als Belehrung auf Schulfunkniveau zurückgewiesen worden war, formulierte der Architekturkritiker Tilmann Buddensieg den Diskurs der „Gegendenkmäler“, der inzwischen seinerseits längst zu einer eigenen Konvention geworden ist.
Zur Gebetsmühlenhaftigkeit solcher Formeln wie „Unmöglichkeit der Darstellung des Undarstellbaren“ kommen die immergleichen Namen der Minimal art oder verwandter Konzeptkunst, die es nach Buddensiegs Vorstellung unverdächtig richten könnten: Sol LeWitt und seine „Black Form Dedicated to the Missing Jews of Münster“; Richard Serra mit der aus New York nach Bürgerprotesten verbannten „Tilted Arc“, den zusammengefügten Eisenwinkeln, die inzwischen unter dem selbstbewußten Namen „The Drowned and the Saved“ (der Titel ist von Primo Levi entlehnt) in einer ehemaligen Synagoge in Stommeln untergebracht sind; Walter de Marias „Denkloch“ und natürlich die verschwindenden Mahnmale des Ehepaars Gerz sollen den Betrachter offiziell in eine Tautologie führen, auf sich selbst zurückverweisen. In Wahrheit verraten sie schon im Titel, aber auch in den Formen selbst eine Schwäche für das Erhabene, die Einschüchterung (Gerz hat seine versinkende Säule einmal als Fieberthermomether im Arsch der Nation beschrieben), die Volkserziehung – nicht viel anders, als der vom Kunsthistoriker Robert Kudielka zitierte Ehrentempel. Betrachtern soll die „Therapie verweigert“, die Sprache verschlagen und ein „Hindernis für alle allzu schnellen Wege“, ein Stolperstein präsentiert werden, der Einfühlung unmöglich macht. Zu wem spräche ein solches Denkmal?
Stölzl, dem vorgeworfen worden war, die Denkmäler wie einen historischen Bauchladen präsentiert zu haben, aus dem man sich nur bedienen müsse, zeigte sich vom „Undarstellbarkeitsdiskurs“ der Gegenseite gänzlich unbeeindruckt: „Ein Blödsinn wird nicht dadurch klüger, daß er von Baudrillard stammt.“ Im übrigen seien auch Gerz oder Hoheisel (der vorgeschlagen hatte, als Mahnmal das Brandenburger Tor zu schleifen), traditionell im Sinne Duchamps oder Musils. Es gäbe keinen Grund, der Kunst nicht den Auftrag „Compassio“ zu erteilen, ein allgemein zugängliches, verständliches, Trauer ausdrückendes Denkmal zu entwerfen; man müsse sich dabei nicht nach der Decke dessen strecken, was die Gegenwartskunst bereithalte.
Die frostige Stimmung wich mit dem Auftritt des amerikanischen Denkmalkritikers James Young, der nicht nur den Streit für „gesund“ erklärte, sondern zugleich an Beispielen aus Israel, Polen und den USA demonstrierte, daß es nirgendwo auf der Welt ein Denkmal jenseits nationaler Interessen gäbe. Natürlich sei auch nirgendwo die Diskussion so kompliziert wie in Deutschland, wo erstmalig in der Geschichte die Täter der Opfer gedenken müßten. Young glaubt aber, daß man nur ein Konzept finden müsse, dann ergäbe sich Ikonographie und richtiger Standort ganz von selbst. Die bisherige Diskussion hat das Gegenteil gezeigt: Sie kam überhaupt erst in Gang, als es eine fertige Form gab, an der man diskutieren konnte, nämlich die Gedenkplatte von Jakob- Marks. Ob ein – ohnedies höchst fraglicher – konzeptioneller Konsens irgendwann in eine geeignete Form münden wird, ist völlig offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen