: Durchstich bis zum Landwehrkanal
taz-Serie: „Brennpunkt Masterplan“ (10. und letzte Folge). Über den Mehringplatz soll einmal der Autoverkehr rollen. „Heller Wahnsinn“, sagt Kreuzbergs Bürgermeister Schulz ■ Von Rolf Lautenschläger
Auf einem Bild von Ernst Ludwig Kirchner, kurz nach der Jahrhundertwende entstanden, gleicht der Belle-Alliance-Platz einem entrückten Paradies in der Großstadt. Durch die grüne Mitte des Rondells wandeln ein paar Spaziergänger, auf dem satten Rasenplatz wuchern Bäume. Es ist, als befinde man sich in einem friedlichen Rückzugsort fern der Metropole. Doch die stellt Kirchner als Bedrohung dar: Rund um das Rondell wachsen die Bauten expressiv und bedrohlich in den Himmel. Die Friedrichstraße wandelt sich in der Verlängerung des Platzes zur Schlucht. Der paradiesische Zustand als bloßer Schein: Nichts ist im Gleichgewicht, alles schwankt, lautet die Botschaft.
Geht es nach dem Willen der Masterplaner, soll aus der heutigen grünen Fußgängerzone inmitten des Mehringplatzes das werden, was Kirchner schon damals als Bedrohung darstellte: nämlich Großstadt mit Durchgangsverkehr zwischen Landwehrkanal und Friedrichstraße. Neue Gebäude und Nutzungen sollen die bestehenden Wohnbauten, die in zwei Ringen rund um das Rondell plaziert sind, ergänzen.
Zugleich ist vorgesehen, die brückenartige Barriere am Halleschen Tor abzutragen, damit die Sichtachse vom Landwehrkanal hinein in die Friedrichstraße – wie vor dem Zweiten Weltkrieg – wieder offen erscheint.
„Wir haben noch keine klaren Vorstellungen, welche speziellen Nutzungen und Gebäudehöhen dort angebracht sind“, betont Patrick Weiss von der Projektgruppe „Planwerk Innenstadt“ in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Die Absicht des Masterplans sei es jedoch, „den Mehringplatz wieder als „städtischen Raum“ zu gestalten und die bestehenden Grünflächen, besonders an der südlichen Kante links und rechts des Halleschen Tores, „zu qualifizieren“.
Diese „Qualifizierung“ stellen sich die Autoren des Masterplans, Fritz Neumeyer und Manfred Ortner, konkret so vor: Das Entree des Platzes könnte mit Randbebauung entlang der Uferstraße eingefaßt werden. An der Gitschiner Straße und am Halleschen Ufer schlagen sie zwei lange Riegel vor, die das heutige „Abstandsgrün“ überformen.
Auch der Durchstich der Friedrichstraße bis zum Landwehrkanal und seine Öffnung für den Verkehr gehören zu den konkreten Zielen, die der Masterplan anvisiert. Für Hans Stimmann, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, ist klar, daß der historische Stadtgrundriß der Südlichen Friedrichstadt wiederhergestellt werden muß. Die Friedrichstraße als durchgehender Strang zwischen Halleschem Tor und dem Boulevard Unter den Linden – und nicht ihr sackgassenartiges Ende durch die Bebauung der sechziger und siebziger Jahre – gehören zum Plansoll Stimmanns. Der „unwirtliche“ Städtebau der Nachkriegsmoderne, so Stimmann, müsse mit den Mitteln der kritischen Rekonstruktion und der Wiederbelebung des historischen Stadtgrundrisses entschärft werden.
Daß der vorhandene „Wohnort Mehringplatz“, an dem fast 5.000 Menschen leben, nicht gekippt werden soll, machen die Masterplaner zwar zur Grundlage ihrer neuen Überlegungen. Doch Verkehr in einem „öffentlichen Straßenraum“ und „Mischnutzungen“ bildeten keineswegs Gegensätze zur derzeitigen Wohnsituation vor Ort, meint Weiss. Dem widerspricht Franz Schulz, bündnisgrüner Bürgermeister von Kreuzberg, vehement: „Der Mehringplatz braucht heute nicht mehr Verkehr, mehr Baumasse und alte Preußengeschichte, sondern mehr Wohn- und Grünqualität.“ Die „moderate und beinahe luftige städtebauliche Planung“ von Hans Scharoun für die beiden kreisförmigen Wohnringe habe durch die nördlich und östlich errichteten „Hochhausgebirge“ in den 70er Jahren und die „monströsen Autoparkanlagen“ eine „extreme Verdichtung“ erfahren, sagt Schulz. Diese fortzuschreiben durch zusätzliche Betonriegel und eine Verkehrsachse durch das Wohnquartier schade der derzeitigen Situation mehr, als daß es diese korrigiere.
Vielmehr komme es darauf an, so Schulz, die vorhandenen Grünflächen zu verbessern und etwa den Standort des großen Parkhauses an der rückwärtigen Platzfläche zu überdenken. Schulz erinnert dabei an das kooperative Verfahren zur Umgestaltung des Mehringplatzes aus dem Jahre 1993, in dem ein zusätzlicher Bauriegel an der Gitschiner Straße in Erwägung gezogen worden war. „Aber grundsätzlich waren sich die Mieter, der Bezirk und die Eigentümer – WIR Wohnungsbaugesellschaft und die AOK – einig, die Qualität des Mehringplatzes als Wohnquartier zu erhalten.“ Schulz sieht auch die Notwendigkeit, daß zusätzliche Nutzungen nötig sind. Die vorhandenen Läden, Jugendeinrichtungen, Banken und der Supermarkt reichten nicht aus. Diese müßten „ergänzt“ werden – „aber nicht durch Büromassen“.
Den Durchstich der Friedrichstraße für den Verkehr hält der Bürgermeister denn auch für „hellen Wahnsinn“, brächte der Autoverkehr doch das gesamte Wohnquartier ins Wanken. Statt dessen sollten die Masterplaner sich mehr um „versöhnende Eingriffe“ wie etwa den nördlichen Abschnitt der Fußgängerzone kümmern.
Einen solchen „versöhnenden Eingriff“ praktiziert derzeit die WIR, die den großen Parkplatz östlich des Rondells in eine Grünanlage umbaut. Im Schatten der Hochhäuser hinter dem sechsgeschossigen Wohnring entsteht eine Parkanlage mit Wegen, Spielplätzen und Rasenflächen, die nicht nur „Abstandsgrün“ und Hundeterrain bildet, sondern das Wohnumfeld entscheidend verbessert.
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