: Von den Fieberkurven der Flaniermeilen
■ Kurfürstendamm, Friedrichstraße und Alexanderplatz ringen um Kunden. Die totgesagte Westcity wird mit Edelboutiquen und „Erlebnisshopping“ aufgepeppt
Als die Mauer fiel, sah es düster für die Westberliner City aus: In der Kantstraße schoß ein billiger Import-Export-Laden nach dem anderen aus dem Boden, während am Kurfürstendamm viele der Edelgeschäfte zugrunde gingen. Gemessen am eigenen Anspruch glich der einstige Vorzeigeboulevard eher einer Schmuddelmeile, und es wurde prophezeit, daß die marode 50er-Jahre-Atmosphäre des Ku'damms nicht mit der neu entstehenden Mitte im Ostteil der Stadt konkurrieren könne.
Doch obwohl rund um den Bahnhof Zoo und den Breitscheidplatz noch immer schmierige Neppgeschäfte und miese Boulettenbuden dominieren, kam es nicht zu dem vielfach beschworenen Niedergang des Kurfürstendamms. Erst wurde der Wachschutz verstärkt und nach seinem Umbau der Bahnhof Zoo von unliebsamen Gästen gesäubert; allmählich beginnt sich nun auch der Anblick des Westberliner Zentrums zu ändern: Peek & Cloppenburg eröffnete einen gläsernen Neubau, und das KaDeWe sowie Wertheim spendierten ihren Kaufhäusern ein neues Gesicht. In das Gebäude des Grabbeltisch-Spezialisten Bilka zog schließlich das modische Karstadt Sporthaus ein.
Bei dem Versuch, das verstaubte Image des Ku'damms aufzumotzen, wird auch vor Traditionsobjekten nicht halt gemacht: Das Shoppingcenter Kudamm Eck an der Ecke Joachimstaler Straße, ein Relikt aus den 70er Jahren mit dem Charme einer Bahnhofsvorhalle, soll abgerissen und statt dessen ein Fünfsternehotel errichtet werden. Und selbst dem berühmten Café Kranzler auf der anderen Straßenseite drohte der Abriß: Hinter dem Caféhaus, in dem seit 1958 betuchte Charlottenburger und neugierge Touristen von stets in schwarz gekleideten Serviererinnen mit rosa Schürzchen bedient werden, will die Deutsche Immobilien Fonds AG nun einen 15geschossigen Glas-Beton-Palast errichten. Kritiker befürchten, daß der Riegel das Kranzler zu einer Art Pförtnerloge degradiere und die Sicht auf die Gedächtniskirche versperre.
Längst haben auch Edelboutiquen wie Jil Sander und Armani die City West zum Sitz ihrer Berliner Filialen auserkoren, und für Spitzenlagen am Ku'damm werden Mieten von bis zu 400 Mark pro Quadratmeter bezahlt – das sind Preise, die sich nur noch die Großen leisten können, vor allem die bundesweit und international tätigen Filialisten. Viele von diesen folgen dem angeblichen Trend, daß das Warenhaus mit dem Drang zum Vollsortiment ausgedient habe, und setzen auf Spezialisierung und „Erlebnisshopping“.
Ohnehin sei schon bald mit Überkapazitäten an Einzelhandelsflächen in Berllin zu rechnen, schätzt die Forschungsstelle für den Handel: Bis zum Jahr 2000 wird die Verkaufsfläche berlinweit auf 3,9 Millionen Quadratmeter ansteigen – das sei ein Überschuß von 650.000 Quadratmetern.
Wie sich der Alexanderplatz und die Friedrichstraße angesichts solcher Prognosen behaupten können, ist mehr als fraglich. Dabei muß der Alex, der einem heute noch das Gefühl von Ostblock vermittelt, im Gegensatz zur Friedrichstraße keine Käufer anwerben – die Ostberliner kommen wie eh und je in Scharen. Dagegen muß die Friedrichstraße erst beweisen, ob sie das Versprechen, ein Luxuskonsumparadies zu sein, auch einhalten kann. Noch geht es zwischen dem Lindencorso an der Ecke Unter den Linden/Friedrichstraße und den Friedrichstadtpassagen eher beschaulich zu, und selbst in die Galeries Lafayette verirren sich nur wenige Kunden. Ole Schulz
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