piwik no script img

„Und dann entscheide ich“

Ein kühl kalkuliertes Image, geschicktes Taktieren und das schlechte Gedächtnis der Öffentlichkeit: Ausgerechnet auf der Hardthöhe gelingt es Volker Rühe, sich als liberaler Pragmatiker zu präsentieren  ■ Von Bettina Gaus

Finnlands Verteidigungsministerin Anneli Taina lächelt freundlich und etwas unbestimmt ins Nichts. Mal rückt sie auf ihrem Sessel ein wenig nach rechts, dann wieder nach links. Die Politikerin sitzt neben ihrem Amtskollegen Volker Rühe in der Residenz des deutschen Botschafters in Helsinki. Aber ihr Nachbar hat in den letzten zwanzig Minuten kein Wort mit ihr gewechselt, sondern mit ihn begleitenden Journalisten über Bonner Zustände geplaudert. Auf deutsch. Das versteht Anneli Taina nicht. Deutschland ist ein ziemlich wichtiges Land in Europa. Finnland nicht.

Wer den deutschen Verteidigungsminister nicht interessiert, ihm von Nutzen sein oder auch gefährlich werden kann, den behandelt er nicht einmal schlecht. Er oder sie kommt im Raster seiner Wahrnehmung, sonst eng geknüpft, ganz einfach nicht vor. So verhält er sich nicht nur gegenüber Menschen, so geht er auch an Themen heran.

Für Außenpolitik hat er sich schon als Jugendlicher begeistert, der fasziniert die Parlamentsdebatten der 50er Jahre am Radio verfolgte. Gesellschaftspolitische Fragen dagegen lassen Volker Rühe weitgehend unberührt. Gibt es eigentlich irgendeinen sozialen Mißstand, der ihn wirklich empört? Da muß er nachdenken. „Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man arbeiten will und nicht kann“, meint er dann ungewöhnlich zögernd und sieht dabei so aus, als lausche er seinen eigenen Worten zweifelnd nach.

Verlierern schenkt der Politiker keine Beachtung. „Eine ganze Menge“ hält er vom alten Sprichwort, jeder sei seines Glückes Schmied. „Natürlich braucht man auch Fortüne. Es ist übertrieben zu glauben, daß man alles beeinflussen kann. Aber man sollte sich die Einstellung erhalten, als ob man das könnte. Nicht immer alles auf andere schieben.“

Auch ein kluger Stratege kann eben nicht aus seiner Haut. Jeder, der ganz nach oben will, muß wenigstens gelegentlich die Partei der Schwächeren ergreifen. Käme Rühe das in den Sinn, dann hätten die in ihm einen guten Anwalt. Aber hier sind die Grenzen seiner Phantasie erreicht.

Ein Lieblingswort von Volker Rühe heißt „gestalten“. Er hat viel gestaltet in den fünf Jahren seiner Amtszeit als Verteidigungsminister. Dabei gilt der Posten als Schleudersitz. Aber bestimmte Fehler seiner Vorgänger können ihm nicht passieren, davon ist der Minister fest überzeugt: „Mein Instinkt bewahrt mich vor so etwas. Ich bin widerstandsfähig gegenüber falschem Einfluß und pflege einen offenen Diskussionsstil. Und dann entscheide ich.“

Volker Rühe plant über den Tag hinaus. Die Nato-Osterweiterung, die nächste Woche in Madrid beschlossen werden wird, ist sein Projekt. Rühe hat sich 1993 als erster prominenter westlicher Politiker dafür ausgesprochen. Nur Monate später hatte er die Militärallianz auf seine Linie eingeschworen. Die Verkleinerung der Bundeswehr setzte er gegen erheblichen Widerstand aus den eigenen Reihen durch. Die einst so umstrittenen Krisenreaktionskräfte wurden schließlich sogar mit Zustimmung weiter Teile der Opposition aufgebaut.

Die nächste Grundsatzdebatte ist programmiert. In Bonn wird angenommen, daß die Koalition im Falle eines Wahlsieges sich wohl bald aus Kostengründen an die Abschaffung der Wehrpflicht machen wird. Von der Opposition ist da nicht viel Widerstand zu erwarten. Von Volker Rühe schon. Der legt seit Monaten – gefragt und ungefragt – ein Bekenntnis nach dem anderen zur Wehrpflicht ab. Er wird schon einknicken, ist die augenzwinkernde Erwartung vieler Beobachter. Abwarten.

Volker Rühe hat es erreicht, daß Einsätze der Bundeswehr in Krisengebieten über Parteigrenzen hinweg als rein humanitärer, moralisch gebotener Akt gesehen werden. „Heute ist der Auftrag der Bundeswehr bei der großen Mehrheit in Parlament und Bevölkerung völlig unumstritten“, stellt er nüchtern vor dem Bundeswehrverband fest.

Dabei haben die internationalen Militäreinsätze, an denen die Bundeswehr beteiligt war, samt und sonders ihr Ziel verfehlt. Kambodscha, wo deutsche Sanitäter stationiert waren, ist unruhig geblieben. In Somalia herrscht weiter Bürgerkrieg. Und schon heute läßt sich absehen, daß auch Bosnien nicht befriedet sein wird, wenn Mitte nächsten Jahres das Mandat der ausländischen Streitkräfte abläuft.

Es ist eine demagogische Meisterleistung des Ministers, daß keiner der Mißerfolge die Grundsatzdebatte neu hat entbrennen lassen, ob Frieden sich durch ausländisches Militär überhaupt erzwingen läßt.

Volker Rühe vor allem hat dafür gesorgt, daß Gegner internationaler Einsätze im moralischen Abseits stehen – ganz so, als sei Skepsis gegenüber bewaffneten Missionen gleichbedeutend mit Teilnahmslosigkeit gegenüber menschlichem Leid. So überzeugend ist es ihm gelungen, Waffen als rein humanitäre Instrumente darzustellen, daß die Opposition ganz verblüfft reagiert, wenn sie, wie jetzt im Zusammenhang mit den Mängeln der Harm-Rakete, daran erinnert wird, daß militärisches Gerät gewisse Gefahren birgt.

Der CDU-Politiker kann es sich inzwischen leisten, dem Vorwurf einer Militarisierung der Außenpolitik kühl zu begegnen. „Wer von Gewicht sagt das denn heute noch? Wer das sagt, verdient es gar nicht, daß man sich damit auseinandersetzt.“ Pause. „Ich habe diese Debatte gewonnen.“

Wer siegt, macht sich damit nicht unbedingt beliebt. Es gibt viele in Bonn, die Rühe nicht mögen. Sie reden in Begriffen über ihn, die einiges über sie selbst verraten: ein Prolet sei er, ein Aufsteiger. Das sagen auch manche, die sich als links verstehen. Sozialer Hochmut ist wieder salonfähig.

Dabei gibt Volker Rühes Biographie für derlei Überheblichkeit eigentlich nicht viel her. Der Lehrersohn aus Hamburg hat selbst den Beruf des früh verstorbenen Vaters gewählt. Eine Zeitlang liebäugelte er mit einer wissenschaftlichen Laufbahn. Mit 21 Jahren trat er in die CDU ein, sieben Jahre später saß er in der Hamburger Bürgerschaft – Anfang eines Lebensweges als Berufspolitiker. Eine Mittelschichtkarriere.

Aber er sieht halt nicht nach Mittelschicht aus und schon gar nicht nach soigniertem Hanseatentum. Einen Gang hat er, als ob er vor Kraft nicht laufen kann. Büffel, Bulle, Rüpel – mit diesen Beiworten ist er selbst in wohlmeinenden Zeitungsartikeln schon bedacht worden.

Rühe selbst fördert dieses Image nach Kräften. Er pflegt einen burschikosen, oft kumpelhaften Ton und eine betont einfache Sprache. Ausgewählte, nur scheinbar private Informationen runden das Bild ab. 30 Kilometer weit sei er am Wochenende gewandert, erzählt er Journalisten. In Wochenendetappen ist er fast 700 Kilometer mit einem Freund von Hamburg nach Dresden marschiert. Seine Frau oder eines der drei Kinder begleiteten ihn nicht. Dafür waren Bürgermeister von Städten am Wegesrand dabei, mehrere Fotografen und sein Pressesprecher.

Volker Rühe weiß, wie er sich darstellen möchte: als aufgeschlossener Kerl mit gesundem Menschenverstand, den so leicht nichts umschmeißt und dem intellektuelle Höhenflüge fremd sind. Gelegentlich unterlaufen ihm noch Fehler bei der Imagepflege. Läßliche: wenn er zweimal hintereinander verschiedenen Gruppen dieselbe Anekdote erzählt und dabei den Eindruck von Spontaneität zu erwecken versucht. Wenn er gar zu schnell auf einen Einwurf reagiert und dabei deutlich wird, daß er eben doch mehr als ein Buch gelesen hat. Bedenkliche: wenn er sich angegriffen fühlt, die Augen zu schmalen Schlitzen werden und er ganz plötzlich auf sprachlicher Präzision besteht. Da wirkt er bedrohlich.

Die für seine Selbstdarstellung gefährlichsten Fehler begeht Rühe, wenn er gut gelaunt ist. Dann gelingt es ihm kaum, seine spöttische Verachtung für die vermutete geistige Unterlegenheit seines Gegenübers zu verbergen. Und bei wem vermutet er die schon nicht?

Der Politiker ist stets auf der Hut. Wenn er lächelt, bleiben die Augen wachsam. Er rechnet damit, daß er aufs Glatteis geführt werden soll.

Für das politische Klima hat der Minister ein feines Gespür. Wenn er etwas erreichen will, dann geht er dabei stets ein ganz kleines Stück weiter, als in Bonn üblich und erlaubt ist – und überläßt es der Gegenseite, ob sie den Angriff wagen will.

Volker Rühe geht keinem Streit aus dem Weg. Vor einem Jahr galt sein Verhältnis zu Helmut Kohl wegen öffentlich ausgetragener Meinungsverschiedenheiten über den Wehretat als stark gestört. Wer nicht begreife, daß die Bundesregierung ein Team sei, werde es schwer haben, in ihr „seinen Job zu machen“, polterte der Kanzler. Schwer oder nicht – der Minister ist weiter im Amt. Gegenwärtig hält er in Gesprächen wieder einmal mit seiner kritischen Meinung über Fehler der Regierung nicht hinter dem Berg. Wenn sich eine Ära dem Ende zuneigt, ist es kleidsam, widersprochen zu haben.

Rühe gehört nicht zu denen, für die allein schon der Gedanke an eine CDU in der Opposition Häresie bedeutet. Warum auch? Noch vor wenigen Monaten galt sein Fraktionschef Wolfgang Schäuble als unumstrittener Kronprinz für die Zeit nach Kohl. Inzwischen sieht es so aus, als ob dieser in den Sog hineingezogen werden wird, sollte der Kanzler scheitern. Politischer Führung aber wird die CDU auch dann noch bedürfen. Die Rolle eines Oppositionsführers bietet Möglichkeiten.

Der 54jährige Verteidigungsminister hat viel Zeit. Ungeduld bezeichnet Volker Rühe in Interviews immer wieder routiniert als seine größte Schwäche. Die Koketterie ist irreführend. Er hat über Jahre hinweg bewiesen, daß er warten kann.

1989 wurde er Generalsekretär der CDU. Damals war er schon 46 Jahre alt, und die Zeitungen schrieben weit mehr über die Ablösung des unbequemen Heiner Geißler als über die Berufung Rühes. Für den reichte damals das Adjektiv „blaß“. Sieben Jahre hatte er schon als stellvertretender Fraktionsvorsitzender gedient und schien am Ende seiner Karriere angelangt zu sein, ohne je einen Zenit erreicht zu haben. Er galt als Gefolgsmann Kohls ohne eigenes Profil.

Dabei schließt Volker Rühe doch immer nur Zweckbündnisse auf Zeit. So lange die halten, ist er durchaus auch der rechte Mann fürs Grobe. Als frischgebackener CDU-Generalsekretär war er es, der seine Partei aufforderte, Asylmißbrauch zum zentralen innenpolitischen Thema zu machen.

Die Kampagne zog eine bis dahin beispiellose Welle von Ausländerfeindlichkeit nach sich. Heime brannten, es gab Tote. „Das Gefühl habe ich nie gehabt, daß ich dafür eine Verantwortung habe“, beantwortet Rühe heute die Frage nach geistiger Mittäterschaft. „Ich war geprägt vom Schicksal wirklicher Asylanten, den Thomas Manns. Ich habe gesagt, der Mißbrauch darf nicht dazu führen, daß echte Asylsuchende nicht mehr aufgenommen werden können.“ Das habe sich ja auch letzten Endes als richtig erwiesen.

Die Asyldebatte gehört heute nicht mehr zu den Lieblingsthemen des Verteidigungsministers. Schließlich ist ihm das Kunststück gelungen, sich ausgerechnet auf der Hardthöhe als Liberaler zu profilieren. Das verdankt er nicht zuletzt dem schlechten Gedächtnis der Öffentlichkeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen