■ Mit Blairs „New Labour“ siegte auch der Britpop à la Oasis und Blur. Beide treibt eine konservative Sehnsucht nach den 60ern an. Ein Gespräch mit Jeremy Gilbert
: Blick zurück in Moll

taz: Auf dem Umschlag der Parteizeitung der Labour Party war im vorigen Herbst Noel Gallagher von der Popgruppe Oasis abgebildet. In dem dazugehörigen Artikel wird der neue Britpop mit der Musik der 60er verglichen, und auch politisch sehen die Autoren Parallelen zur „technologischen Revolution“ der damaligen Labour- Regierung unter Harold Wilson. New Britpop, New Labour?

Jeremy Gilbert: In dem Artikel heißt es, daß schwarze amerikanische Tanzmusik die britische Jugendkultur beherrscht habe. Mit Labours Aufschwung gehe der Aufschwung des weißen Gitarrenpop einher. Britpop ist Blairismus: der Triumph der einheimischen weißen Kultur über schwarze US- Kultur. Da Acid House in den schwarzen Schwulenklubs in Chicago entstanden ist, muß man dem Labour-Artikel nicht nur Rassismus, sondern auch Homophobie vorwerfen.

Was hat New Labour gegen schwarze Dance Music?

Nichts jagt dem heterosexuellen Mann aus der weißen Mittelschicht mehr Angst ein als die verschiedenen Musikstile, die den Tanzflächen US-amerikanischer Städte entsprungen sind. Seit mehr als 20 Jahren sind die US-Klubs Schmelztiegel für schwarze, lateinamerikanische und schwule Kultur. All das soll mit der magischen Formel einer Viererband und Dreiminutensongs voller Platitüden über Familienwerte verjagt werden. Der traditionelle weiße Rocker findet, daß Tanzen etwas für Mädchen und Schwule, für Schwarze und die Armen ist. Oasis sind genauso symptomatisch für die Unsicherheit weißer, heterosexueller Männer wie Blairs Offensive gegen alleinerziehende Mütter.

Sie glauben, daß es beim Britpop um eine reaktionäre Sexualpolitik geht?

Ja, sicher. Für den Britpop war das Jahr 1966 ein goldenes Zeitalter. Es war nicht nur das Jahr, in dem England Fußballweltmeister wurde, sondern auch die Zeit vor der Frauenbewegung, vor der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und vor der Schwulenbewegung.

Aber kann man den New Labour des Anti-Feminismus beschuldigen? Es gab doch noch nie so viele Frauen im Unterhaus wie jetzt nach dem Labour-Wahlsieg.

Genau wie der Britpop bietet auch der Blairismus ein Arrangement zwischen den Geschlechtern an, bei dem ein paar Frauen sich wie Männer benehmen dürfen. Feministische Forderungen nach Autonomie haben darin aber keinen Platz. Mit dieser Art von Nostalgie für eine Welt, gegen die wir so lange gekämpft haben, will ich nichts zu tun haben.

Bei der Rhetorik von New Labour stehen traditionelle Familienstrukturen im Mittelpunkt. Man muß da gar nicht den Musikgeschmack analysieren, um zu merken, auf welcher Seite Labour steht. Blair und sein Innenminister Jack Straw sprechen den sozialen Konservatismus Mittelenglands an, wenn sie versprechen, die Straßen von Pennern, von Graffiti und Bettlern frei zu machen und laute Nachbarn hinter Schloß und Riegel zu bringen. Labour unterstützt den repressiven Criminal Justice Act vollauf, und das läßt jungen Leuten keinen Raum, ihren kulturellen Interessen auf legale Art nachzugehen. Blair betont in seinen Reden stets die Gemeinschaft. Aber wenn die Gemeinschaft dann tatsächlich ein Basisprojekt auf die Beine stellt, bekommt sie keine Unterstützung von Blair oder von Straw, dem jede Form von Spaß zutiefst zuwider ist.

Um auf 1966 zurückzukommen: War es nicht tatsächlich ein tolles Jahr für Labour? Es war immerhin das einzige Mal, daß die Partei die absolute Mehrheit der Stimmen hatte.

Natürlich kann man niemandem vorwerfen, daß er sich nach einer Zeit zurücksehnt, als es noch keine Massenarbeitslosigkeit gab, als der Wohlfahrtsstaat noch nicht demontiert war und es noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft gab. Aber selbst die sozialdemokratische Nostalgie hat ihre Grenzen, wenn Labour eine „Welt der Zoohandlungen, Bushaltestellen und des Auflaufs mit Kartoffelbrei“ heraufbeschwört, wie in der Parteizeitung geschehen. Das hört sich doch genauso an wie John Majors Vision von warmem Bier und Cricket auf dem Dorfanger.

Britpop ist doch aber nicht nur in Großbritannien populär, sondern auch im Rest Europas und in Nordamerika, oder?

Labour behauptet, daß Großbritannien dank Britpop endlich wieder Popmusik exportiert, Aber das stimmt nicht. Es gibt keine zweite britische Popinvasion in den USA. Die britische insulare Beschränktheit verkauft sich nicht im Ausland. Denn Britpop ist ein Beispiel für eine britische Identität, die nun mal örtlich begrenzt, konservativ und ethnisch homogen ist.

Abgesehen von den Inhalten, die transportiert werden – finden Sie die Musik wirklich so schlecht?

Von Blurs wackligen Arrangements bis hin zur schlaffen Geschwollenheit von Oasis: Britpop ist rhythmisch unterentwickelt. Das liegt an der kulturellen Inzucht einer weißen Poptradition, die sich schon lange von ihren Rhythm-and-Blues-Wurzeln verabschiedet hat. Mit seiner Rückkehr zum Drei-Minuten-Popsong, den der Milchmann vor sich hinpfeifen kann, und der Heraufbeschwörung eines enggeistigen Großbritannien, hat Britpop der Zukunft eine Absage erteilt. Man kann nur hoffen, daß die Zukunft das mit gleicher Münze heimzahlt und den Britpop nur als anachronistische Sternschnuppe in Erinnerung behält.

Und New Labour? Ist das auch nur eine Sternschnuppe?

Wenn sich Labour wenigstens ein bißchen nach links öffnen und sich an die sechziger Jahre auch wegen ihrer liberalen Sozialpolitik erinnern würde, und nicht nur an den Drei-Akkord-Gitarrenpop. Aber da können wir lange warten. Britpop und Blairismus bilden eine Koalition auf der Basis einer bestimmten Vorstellung von britischer Identität, Gemeinschaft und Geschichte. Und die ist undemokratisch und antipluralistisch und läßt viel zu viele Menschen außen vor. Schwarze, Schwule, Feministinnen, Arbeiter, Jugendliche – die Feindesliste des Britpop stimmt haargenau mit der Liste von traditionellen Labour-Anhängern überein, die von New Labour entfremdet worden sind. Okay, wenn die Partei glaubt, ohne die Unterstützung dieser Leute regieren zu können – dann soll sie es versuchen. Wenn nicht, muß sie schnell ein anderes Lied anstimmen. Interview: Ralf Sotscheck