: „Das Umbrechen der Finger und das Strangulieren des Halses auf der Bühne ist verboten!“
Wo es heute vor der Roten Flora nach Döner, Tappas und Chop-suey riecht, stank es im vergangenen Jahrhundert noch nach Schwein und Kuh. Eimsbüttel wurde schlicht „Dorfschaft“genannt. Aber an der Grenze zur Hansestadt, am Schulterblatt, lockten auch Wirtschaft und Sommertheater. Das Tivoli, 1835 erbaut, bot im biedermeierlichen Garten Possen und Gesang für die Gäste aus der Stadt.
Aus dem Tivoli wurde in den nächsten Jahrzehnten Schmidts Tivoli, dann Damms Tivoli. Ende der 1880er Jahre wurde der hölzerne Rundbau abgerissen. Die einst ländliche Gegend rund um das Schulterblatt war zum städtischen Areal geworden. Der prächtige Tivoligarten aber war noch da, und in ihm bauten die Vergnügungsmacher von der Reeperbahn, Mutzenbecher und Lerch, ein „Concerthaus Flora“(Abb. links).
1889 wurde die Vergnügungsstätte mit großem Brimborium eröffnet. 6.000 Menschen fanden in dem kunstvollen Garten Platz. Berühmt wurde er vor allem durch den Schmuck Hunderter von Gaslämpchen, die, Blütenkelchen nachgebildet, am Abend für „feenhafte“Beleuchtung sorgten. „Tollkühne Männer“starteten hier mit Freiballons ins Abenteuer, Feuerwerk ließ glühend den Ätna ausbrechen, Orchester spielten zum Tanz. Von der Küchenmamsell bis zum feinen Bürochef – hier war ihr Revier.
Zum Stadtgespräch wurde dieser Ort, als ein großer Teil des Gartens mit einer filigranen Eisenfachwerk-Konstruktion überzogen wurde und so das Hamburger Wetter einfach aussperrte. Durch Verglasung des kunstvollen Gerüstes entstand der „Crystallpalast“. Im Jahre 1900 wurde er ummauert, mit einer festen Bühne versehen und zu einem der renommiertesten Varietés Deutschlands. In den zwanziger Jahren trat hier alles auf, was in der Operetten- und Varietéwelt von Bedeutung und Glamour war: vom Magier Kalanag bis zu Zarah Leander und Rosita Serano.
Dann kamen die Ringer, griechisch-römisch. „Das Umbrechen der Finger, das Ausdrehen der Arme über den rechten Winkel und das Strangulieren des Halses sind auf der Bühne verboten.“Richtig fein war das nicht, aber allgemein beliebt.
Geblieben von der Pracht ist die berühmteste Ruine der Stadt, die Rote Flora (rechts). 1988 wollte der SPD/FDP-Senat das Gelände der Stella GmbH überlassen, die dort ein neues Theater für das „Phantom der Oper“bauen wollte. Am 21. April 1988 kamen die Abrißbagger und mit ihnen Polizei und Demonstranten. Das Viertel fürchtete, zur Schicki-Micki-Gegend zu verkommen. Am 13. September gab der Senat auf. Die Demonstranten hatten das Phantom vertrieben. Die Flora wurde zur Roten Flora. In der Nacht zum 28. November 1995 stand das Gebäude – wegen eines Kurzschlusses – in Flammen. „Wir machen weiter“, verkündeten die FloristInnen, griffen zu Eimer, Schaufel und Hammer und konnten die Silvester-Party schon wieder unter einem Notdach feiern.
Petra Oelker/Fotos: links: wap,
rechts: Steffen Kugler
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