: Wirklichen Dreck unter den Teppich gekehrt
Die „Aktion Saubere Innenstadt“ verfolgt mit harter Hand die Graffiti-Szene, um die Verwahrlosung der City zu verhindern. Doch über Lärm, Gift und Verkehr, die allgemein akzeptierten Todfeinde der Lebensqualität, wird nicht diskutiert ■ Von Bernhard Pötter
Der Senator zeigte sich informiert über die feinen Unterschiede der Subkultur. „Unsere Aktion richtet sich nicht gegen Graffiti“, erklärte Umweltsenator Peter Strieder (SPD) vor dem Umweltausschuß des Parlaments. „Graffiti ist ja Kunst. Wir wollen den hingekritzelten Zeichen zu Leibe rücken, den sogenannten Tags. Die sollen aus dem Stadtbild verschwinden.“
Doch so genau nimmt es der Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung mit den feinen Unterschieden bei dem Thema sonst nicht. Putzmunter führt er seine SenatskollegInnen im Rahmen des „Aktionsplans Sauberes Berlin“ bei Aktionen des öffentlichen Müllsammelns an. Seit einem Jahr bläst die Große Koalition mit Flankenschutz der Medien zum Kampf gegen „Schmutz- und Schmierfinken“, gegen „Vandalismus“, „gesellschaftsschädliches Verhalten“ und „optischen Terrorismus“ – und meint damit fast ausschließlich die Graffiti-Sprayer. Der Fahndungsdruck wurde massiv verstärkt. Von den geschätzten 600 Sprayern wurden im ersten Quartal 1997 nach Angaben des Spiegels 234 festgenommen. Doch selbst die Graffiti-Ermittler der Polizei halten die Diskussion für „überbewertet“ und mahnen zu „vorsichtigerem Umgang“ mit den Sprayern.
Dabei war der Begriff „Sauberkeit“ ungeschickt gewählt, wie Strieder inzwischen eingestand. Zu sehr klingt das nach „Säuberung“ – und wurde vom Koalitionspartner wohl auch so verstanden. Berlins „Erscheinungsbild“ müsse verbessert werden, befindet Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) und räumt Häuser und Wagenburgen. Und CDU-Fraktionschef Klaus- Rüdiger Landowsky lenkte von den prekären Haushaltsberatungen durch seinen berüchtigten Vergleich ab: „Es ist nun einmal so, daß dort, wo Müll ist, Ratten sind und daß dort, wo Verwahrlosung herrscht, Gesindel ist. Das muß in der Stadt beseitigt werden.“
Anders als die CDU kocht die SPD mit der offiziellen Putzfimmelkampagne nicht so sehr ein sicherheitspolitisches Süppchen. Strieder argumentiert vielmehr gemäß den Denkvorgaben des anderen großen Berliner Gemeinschaftsprojekte der vergangenen Monate: dem „Planwerk Innenstadt“. Ausgangspunkt dieses Masterplans war die Idee, die Innenstadt für die Bürger zurückgewinnen und ihre Attraktivität zu erhöhen. Bei der Graffiti-Debatte stützt sich der Senator auf die Theorie eines langsamen Verfalls der Innenstädte durch Verwahrlosung: „Graffitti vermitteln das Gefühl einer verwahrlosten Gegend. Und da will niemand wohnen. Wer es sich leisten kann, zieht weg.“ Zurück bleiben demnach die Problemfälle, die ein Viertel zum sozialen „Umkippen“ bringen können. Für den Sozialdemokraten Strieder ist die Putzkampagne auch eine Maßnahme, den tendenziell ärmeren innerstädtischen Bewohnern das Leben in der City erträglich und die Stadt für die reicheren „Stadtbürger“ wieder attraktiv zu machen: „In Zehlendorf hat man solche Probleme nicht.“
Die Gleichung, die hinter dem „Aktionsplan Sauberes Berlin“ steht, heißt also: Dreck gleich Verwahrlosung gleich innerstädtische Slums. Die Lebensqualität wird mit der sichtbaren Sauberkeit oder dem sichtbaren Dreck auf der Straße gleichgesetzt – und in der öffentlichen Debatte darauf reduziert. Während die Öffentlichkeit auf die Schmiererein starrt und sich „Noffiti“-Bürgerwehren formieren, schließt man bei den wirklich gefährlichen und bestens dokumentierten Umweltgiften die Augen, Ohren und Nasen.
Dabei sammelt gerade Strieders Verwaltung seit Jahrzehnten fleißig Daten, die in eine andere Richtung weisen. Denn neben der Diskussion um die gravierenden Probleme mit der Kriminalität in der City und um die Verwahrlosung der Quartiere durch zerstörtes öffentliches Eigentum wird eine andere Diskussion unterdrückt: Die „Unwirtlickeit der Städte“ ist schwerer zu greifen und zu begreifen als Schmierereien und verlassene Kühlschränke auf den Straßen. Und sie wird von Menschen verursacht, die nicht so einfach ausgegrenzt werden können wie Jugendliche. Ein wichtiger Aspekt des Drecks, der die Lebensqualität in der Stadt oft genug in eine Sterbensqualität verwandelt, wird unter den Teppich gekehrt.
Zum Beispiel Lärm. Laut Umweltverwaltung gibt es inzwischen in der Stadt kaum noch Flecken, die nicht lärmverseucht sind. Verursacher ist neben dem Gewerbe vor allem der Autoverkehr. Beständig hohe Geräuschpegel gehen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Nerven, stören den Schlaf und sind verantwortlich für Herz- Kreislauf-Probleme und Bluthochdruck. Eine Studie der Umweltverwaltung geht davon aus, daß auf den Verkehrslärm statistisch pro Jahr etwa 25 zusätzliche Tote durch Herzinfarkt zurückgehen.
Zum Beispiel Schadstoffe in der Luft. Trotz eines enormen Rückgangs von Dreck aus Industrie- und Hausöfen gibt es immer noch jede Menge dicke Luft. Die massenhafte Einführung des Katalysators wird durch die große Zunahme von neuen Autos ausgeglichen. Die Folge: Schadstoffe und Vorläufersubstanzen für den Ozonsmog werden nicht verringert. Reifenabrieb und die als besonders umweltfreundlich subventionierten Dieselmotoren sorgen für ein erhöhtes Krebsrisiko in der Innenstadt. Die Umweltverwaltung geht hier ebenfalls von einem statistischen Risiko von etwa 25 zusätzlichen Toten im Jahr aus.
Zum Beispiel Verkehrsunfälle. 1995 starben auf Berlins Straßen 143 Menschen, darunter fünf Kinder. Über 20.000 Menschen wurden verletzt. Intern klagen die Bezirksämter, daß den Schulkindern zwar die Verkehrsregeln und die Vorsicht vor den Autos eingebleut werden – die Verursacher selbst aber unbehelligt davonkommen.
Zum Beispiel Ozon. Nur kühle und regenreiche Sommer und ein unglaublich hoher Grenzwert verhindern den massenhaften Ozonalarm im Sommer. Während Umweltschutzgruppen und die Weltgesundheitsbehörde bereits 120 Mikrogramm Ozon für bedenklich halten, werden Fahrverbote erst bei 240 Mikrogramm erlassen. Bei heißem und schwülem Wetter bleiben nicht etwa die Autos in der Garage, sondern die Kinder im Haus: Schon bei geringeren Werten warnt das Radio davor, Kinder im Freien spielen zu lassen und sich „ungewohnter körperlicher Betätigung im Freien“ hinzugeben.
Zum Beispiel Gewässer. Zwar hat das Grundwasser gute Qualität, doch wird es an allen Ecken und Enden durch Altlasten und Baustellen bedroht, sein Pegel sinkt. Das Berliner Oberflächenwasser jemandem zum Trinken anzubieten, muß als Körperverletzung gelten: Ein Viertel des abfließenden Wassers in Spree und Havel stammt aus Einleitungen, heißt es im Umweltbericht 1995. Seen und Flüsse werden mit Mühe und Belüftungsschiffen am Leben erhalten. Sieben Badeseen erhielten bei einem europaweiten Test von der EU die Note „schlecht“, da sie noch nicht einmal die Mindeststandards an Hygiene einhalten. Allzuhoch sind die Belastungen durch Kolibakterien.
Zum Beispiel das Verschwinden des Grüns. Zwischen 1960 und 1982 ist die bebaute Fläche von 16.000 Hektar auf 19.500 Hektar ausgedehnt worden, die damit für die Versickerung des Regens nicht mehr zur Verfügung stehen. Der Masterplan mit der Verdichtung der Innenstadt ist eine Vorlage zur weiteren Zupflasterung der City; Umweltschützer befürchten, daß der Flächenfraß zwar realisiert, der Zurückbau von Straßen allerdings wegen rechtlicher Probleme auf Eis gelegt wird. Pflanzen- und Tierarten sterben weiterhin aus: „Der Bestandsrückgang und das Artensterben konnten nicht aufgehalten werden“, heißt es lapidar im Umweltbericht. Jeder fünfte Baum ist „deutlich geschädigt“. Die Sanierung von über 5.000 verseuchten Gewerbeflächen wird mindestens noch 20 Jahre dauern. Berlin hinkt bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Stadtentwicklung nach der Agenda 21 weit hinterher.
Zum Beispiel Hundekot. Obwohl die 40 Tonnen Verdauungsreste von 95.461 Hunden zumindest auf Kinderspielplätzen eine Gefahr für die Gesundheit sein können, werden die Hundehalter kaum an die Leine genommen. Während die Graffiti-Sprayer mit Anklagen rechnen müssen, droht den allzu freizügigen Hundehaltern im Ernstfall die „Gassi-Polizei“: Freundliche Beamte sollen sie darauf ansprechen, ob sie den Hundekot nicht freundlicherweise beseitigen könnten. Die Antwort der so gerüffelten HundebesitzerInnen auf die noch so freundlichen Vorhaltungen kann man sich vorstellen. Den Effekt dieser Maßnahme auch. Diese unterschiedlichen Reaktionen auf das Vergehen eines „Schmutzfinken“ und die daraus folgenden Sanktionen verdeutlichen: Dreck ist eben nicht gleich Dreck. Die richtige Grundidee des „Aktionsplans Sauberes Berlin“, die Steigerung der Lebensqualität in der Innenstadt, ist mittlerweile auf den Hund gekommen: durch die Unterscheidung in sichtbare und potentiell bekämpfbare Verschmutzung einerseits und in unsichtbare und als unvermeidbar hingenommene Belastung andererseits.
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