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Urbanes Gestrüpp contra Stadtrasur

■ Der Bildband „Altonaer Architekten“von Olaf Bartels entdeckt Baugeschichte zwischen Trümmern geistiger Verwahrlosung

Altona ist scheußlich. Zumindest was Kopf, Rückgrat und Eingeweide betrifft. Die sinnlose Zerstörung des märchenhaften Alto-naer Bahnhofs und seine Ersetzung durch ein Kaufhaus, das sich wie ein Geldspeicher oder Bunker gibt; die heruntergekommene und uncharmante Fußgängerzone, die in ihrer schmutzigen Beliebigkeit und mit ihrem katastrophalen Stadtproportionen sicherlich zu den grauenerregendsten Konsummeilen Deutschlands gehört; sowie die großflächigen Nachkriegswohnungsbauten Neu-Altonas, für die auf Drängen der Neuen Heimat die letzten Reste des bombenverschonten Altbaubestands (damaliger Jargon: die Slums) niedergerissen wurden, geben der einst selbständigen Stadt seit mehreren Jahrzehnten das Aussehen eines geistig verwahrlosten Modernismus.

Gäbe es nicht die vielen versteckten Insellagen, wo durch Glück und gesunden Menschenverstand die Stadtrasur ausblieb und sich das urbane Gestrüpp durchsetzte, Altona wäre die distanzierte Eintönigkeit geworden, wie sie jene Nachkriegsbeamten als historische Revision der unheilbringenden Vorkriegsstadt geplant hatten, die mit einer konkreten Vorstellung von Wohnelend eine abstrakte Stadt für abstrakte Bedürfnisse entwarfen.

Vor dieser Zeit war Altona – bis zum Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 eine eigene Stadt mit einer langen und aufregenden Konkurrenzgeschichte zum nachbarlichen Hamburg – eine selbstbewußte Gemeinde, die wohl und oft besser als Hamburg wußte, wie man die eigene Identität wahrt, ohne vor modernen Eingriffen der qualitätvollen Art zurückzuschrecken. Insbesondere in der Zeit des Alto-naer Bausenators Gustav Oelsner 1924-33 gelang es in der bis Bahrenfeld und Othmarschen reichenden Stadt, das Neue Bauen in der stadtverträglichen Version zu etablieren, ohne zu den Tabula-rasa-Lösungen der Le-Corbusier-Schule zu greifen. Da Oelsner wieder verstärkt das städtische Bauen mit Schwerpunkt auf Wohnungsbau etablierte, entstanden in dieser Zeit qualitätvoller städtischer Geschoßwohnungsbau ebenso wie prägende öffentliche Bauten.

Oelsner selbst etwa entwarf das Altonaer Arbeitsamt und das Berufsschulzen-trum an der Museumstraße, Bauten, deren Originalität im Verhältnis zur oft übersteigerten Fritz-Schumacher-Verehrung in Hamburg noch lange nicht genug gewürdigt werden. Diesen Versuch unternimmt jetzt das Buch Altonaer Architekten von Olaf Bartels. Der bekannte Hamburger Stadthistoriker hat die prägendsten Beispiele der Altonaer Baugeschichte seit Gottfried Semper und C. F. Hansen gesammelt und wartet dabei auch mit Entdeckungen auf.

Insbesondere das expressionistische ×uvre von Max Gerntke und Heinrich Esselmann, Architekten der Schilleroper, ist in seiner verspielten Geometrie eine echte Überraschung. Eingeleitet durch eine architektonisch-städtebauliche Lokalgeschichte stellt Bartels zehn Büros mit Biographien und ausgewählten Werken vor, die ihre Duftmarken in die ehemals dänische Großstadt gesetzt haben. Die meisten dieser Architekten haben zwar nicht minder intensiv in Hamburg gebaut – etwa Rudolf Lodders, Hans und Oskar Gerson oder Werner Kallmorgen –, aber gerade das Werk von Karl Schneider zeigt, wie Hamburgs damals wohl bester und ambitioniertester Architekt in Altona seinen ureigensten Stil entwickeln und umsetzen konnte, was ihm in Hamburg stets verwehrt war. Bartels' Buch ist somit eine zwingende Anschaffung für alle Lokalpatrioten und Stadtflaneure, die den Altonaer Sonderweg über die Jahrzehnte dokumentiert haben und auf die – leider oft traurige, weil sinnlose – Spurensuche nach den großen Zeugnissen der hiesigen Baukultur gehen wollen. Kees Wartburg

Olaf Bartels: „Altonaer Architekten – Eine Stadtgeschichte in Biographien“, Junius Verlag, 130 S.

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