■ Das Jahr gegen Rassismus – eine deutsche Zwischenbilanz: Gut gedacht, schlecht getan
Als im Juli 1996 der Rat der EU den Plan zum Europäischen Jahr gegen Rassismus annahm, waren die Erwartungen hoch, zu hoch vielleicht. Daß die Regierungen der Europäischen Union nach einer nicht endenden Welle der Gewalttaten auf europäischer Ebene ein Signal setzen wollten, ist nicht geringzuschätzen! Überhaupt fällt auf, daß Brüssel in Sachen Antirassismus- und Integrationspolitik der Bundesregierung einige Schritte voraus ist. Nur wenige wissen, wie die Bundesregierung jede Bemühung um eine Richtlinienkompetenz der Europäischen Kommission in Sachen Rassismusbekämpfung blockiert, weil diese ihnen zu weit geht. Die Bundesregierung als Bremser in Sachen fortschrittlicher Migrationspolitik, das mag niemanden verwundern. Aber ausgerechnet Innenminister Kanther mit der nationalen Umsetzung des Jahres gegen Rassismus zu beauftragen hieß wirklich den Bock zum Gärtner zu machen.
Während den Regierungswechseln in Großbritannien und Frankreich auch eine vorsichtige Liberalisierung im Umgang mit MigrantInnen und Flüchtlingen folgt, bescherte uns Kanther Höhepunkte des Jahres gegen Rassismus etwas anderer Art. Zu Jahresbeginn weitete der Innenminister den Visum- und Aufenthaltsgenehmigungszwang für Minderjährige aus und trieb damit 800.000 Minderjährige in die Ausländerbehörden. Noch kurz vor der Sommerpause wurde – mit den Stimmen der SPD! – nicht nur das Asylbewerberleistungsgesetz, sondern auch gleich die Verschärfung des Ausländerrechts beschlossen. Vorwürfe von amnesty international gegen deutsche Polizeibeamte wegen Mißhandlungen von Ausländern wies Kanther schroff zurück. Seine Reaktion klang wie ein Dementi aus einer Bananenrepublik, wenn es gilt, Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen als gegen das Land gerichtet und einseitig zu denunzieren.
Während der Bundesinnenminister eine Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes blockiert, werden zunehmende Probleme mit der Integration von Jugendlichen, denen man das Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrer Gesellschaft verweigert, als „gefährlich fremd“ empfunden. Der Spiegel nimmt eine Jugendgang, die es längst nicht mehr gibt, und titelt das Ende der multikulturellen Gesellschaft herbei. Während Gerhard Schröder, die Sparversion Tony Blairs, bereits wenige Wochen nach der erfolgten Änderung des Ausländergesetzes mit dem Ziel einer vereinfachten Abschiebung straffälliger „Ausländer“ mehr und schnellere Abschiebungen herbeiwünscht. Der Bundestagswahlkampf begann im europäischen Antirassismus-Jahr auf dem Rücken der ausländischen Nichtwähler. Mal schauen, wo er enden wird. Cem Özdemir
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