Schabowskis Anwälte attackieren Staatsanwalt

■ Freispruch für den Berliner SED-Bezirkschef – das fordern seine Rechtsvertreter

Berlin (taz ) – Im Politbüroprozeß vor dem Berliner Landgericht haben gestern auch die Verteidiger von Günter Schabwoksi auf Freispruch plädiert. Damit steht das Verfahren, das Donnerstag mit den Schlußworten der Angeklagten und dem Plädoyer der Nebenklage weitergeht, kurz vor seinem Ende. Mit einem Urteil wird noch im August gerechnet. Die Staatsanwaltschaft hatte für Egon Krenz elf, für Schabwoski neun und für Günther Kleiner siebeneinhalb Jahre Haft wegen Totschlags in mehreren Fällen gefordert.

In ihren Plädoyers griffen Schabowskis Anwälte Ferdinand von Schirach und Dirk Lammer die Staatsanwaltschaft hart an. Sie sei geradezu „messianisch“ davon überzeugt, was Recht und Unrecht gewesen sei, und habe mit entsprechend „großer Geste“ hohe Strafen verlangt, sagte von Schirach. Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz sei seiner Aufgabe nicht nachgekommen, Schabowskis „individuelle Schuld“ zu beurteilen. Statt dessen habe er das Politbüro zu Schreibtischtätern erklärt.

Ausführlich referierte von Schirach die Rolle Schabowski während und nach der Wende. In den letzten Jahren habe sich Schabowski mit seiner eigenen Person kritisch auseinandergesetzt, die moralische und politische Schuld eingeräumt und sein Bedauern über die Toten an der Grenze ausgesprochen. Es sei beschämend, wenn der Oberstaatsanwalt seinem Mandanten vorhalte, sich nur „nachdenklich darzustellen“.

Von Schirach hob hervor, daß in der Zeit von 1984 bis 1989, in der Schabowski dem Politbüro angehörte, kein Beschluß gefaßt worden sei, der als Auftrag zum Töten von Flüchtlingen verstanden werden könne.

Auch die im Eröffnungsbeschluß der Anklage zugrunde gelegten Politbürobeschlüsse gäben dafür keine einzigen Hinweis. Vielmehr habe es sich bei den Beschlüssen zur Sicherung der Grenze um allgemeine „Beschwörungsformeln“ gehandelt, wie sie typisch für die offizielle DDR- Sprache gewesen seien. Offenbar, so von Schirach, sei Oberstaatsanwalt Jahntz der „letzte Gläubige der offiziellen DDR-Sprache“. Anwalt Lammer hatte zuvor erklärt, in Fragen der Grenzsicherung sei das Politbüro in den achtziger Jahren faktisch entmachtet gewesen. So sei auch der Abbau der Minen ohne Kenntnis des Gremiums erfolgt.

Ferdinand von Schirach gab der 27. Großen Strafkammer eine Bitte mit auf den Weg: Sie solle mit kühlem Kopf und frei von „allen Einflüssen“ ihr Urteil fällen. Severin Weiland