„Kein Ersatz von bloßen Vermögensschäden“

■ Jura-Professor Jürgen Taeger warnt vor einer Prozeßlawine

taz: Wie stark wird das „Jahrtausendproblem“ die deutschen Gerichte beschäftigen?

Jürgen Taeger: Es wird eine Prozeßlawine auf die Gerichte zurollen, wenn nicht rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Was mache ich denn, wenn mein Software-Programm ab dem Jahr 2000 spinnt?

Für Standardsoftware gibt es nur sechs Monate Gewährleistung. Wer also jetzt ein Programm kauft, kann sich nicht im Jahr 2000 beschweren, daß er einen Fehler entdeckt hat.

Gilt das auch für komplexe Software, wie sie in Unternehmen verwendet wird?

Ja. Bei individuell angefertigter Software handelt es sich allerdings nicht um einen Kaufvertrag, sondern um einen Werkvertrag; aber auch dort beträgt die Gewährleistung sechs Monate ab Abnahme. Wer bei Kauf oder Werkvertrag eine längere Garantie haben will, muß das vertraglich vereinbaren.

Das ist für die Händler ja recht bequem. Nach sechs Monaten trägt der Kunde in der Regel das Risiko ganz allein...

Soweit würde ich nicht gehen. Ganz ausgeliefert sind wir den Tücken der Technik schon deshalb nicht, weil es auch eine außervertragliche Haftung der Hersteller gibt. Zwei Gesetze können Hilfe bieten. Nach der Produzentenhaftung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) müssen die Hersteller für Schäden an Leib, Leben und Eigentum des Kunden und anderer Personen haften, wenn diese durch fehlerhaftes Verhalten bei der Entwicklung, bei der Produktion oder bei der Qualitätskontrolle verursacht wurden. Und nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG) von 1989 muß ein Hersteller unabhängig vom Verschulden für Körper- und Sachschäden durch Produktfehler einstehen.

Nehmen wir den Fall aus Detroit: Weil die Ladenkassen den Dienst verweigern, wenn man eine bis 2000 gültige Kreditkarte einschiebt, macht ein Supermarkt riesige Verluste. Hätte der Besitzer auch in Deutschland eine Chance auf Schadenersatz?

Nein, denn die Produkthaftung schützt nicht vor bloßen Vermögensschäden.

Und wenn das Geschäft wegen der Verluste dichtmachen muß?

Das ist natürlich ein Extremfall. Aber wenn die Verluste nur auf den vom Supermarktinhaber zunächst unerkannten Softwarefehler zurückzuführen sind und für ihn unvermeidbar waren, könnte man überlegen, ob das Eigentum oder das Recht am Unternehmen verletzt wurde, so daß Produkthaftung in Frage kommt.

Was können die Softwarehersteller tun, damit sie später nicht haften müssen?

Bei Anwendungen, die für Eigentum, Leib und Leben gefährlich werden können, sollten sie besser dafür sorgen, daß der Fehler erst gar nicht auftritt. Im Zweifel müssen sie von sich aus den Kontakt mit Kunden aufnehmen und das Produkt „zurückrufen“, um den gefährlichen Fehler zu beheben. Interview: Christian Rath

Jürgen Taeger ist Professor für Rechtsinformatik und Bürgerliches Recht an der Universität Oldenburg