: Gebammel hängt raus
Auch nach Karel Fajfr haben Sportverbände geringes Interesse, sexuelle Übergriffe im Sport aufzuklären ■ Von Gerd Michalek
Trainer verstecken sich in Umkleidekabinen, um Mädchen zu beobachten. Ein exhibitionistischer Sportlehrer trägt keine Unterhose unter den Boxershorts und präsentiert seine Geschlechtsteile. Oder die kleine Schikane im Sportunterricht: „Was wollen Sie eigentlich hier“, fragt ein Sportlehrer großspurig ein Kollegin. „Wie wollen Sie denn eine Fußballstunde bewerten?“
Das sind Beispiele aus dem Sammelband „Auszeit – Sexualität, Gewalt und Abhängigkeiten im Sport“ der Stuttgarter Pädagogin Constanze Engelfried. Die ehemalige Spitzenvolleyballerin hat sich eines Tabuthemas angenommen. Bis heute ist unbekannt, wie groß das Ausmaß sexueller Übergriffe im Sport tatsächlich ist. Schuld daran sind nicht allein die hohe Dunkelziffer und das Desinteresse der Soziologen. Es liegt auch an der Schwierigkeit, Forschungsgelder aufzutreiben. Der organisierte Sport reißt sich nicht gerade darum, sich potentielle Nestbeschmutzer ins Haus zu holen. „Die Sportverbände haben bisher Hinweise auf sexuelle Übergriffe und Mißbräuche in den meisten Fällen einfach zugedeckelt“, glaubt Ursula Enders von der Kölner Beratungsstelle Zartbitter. Sie bemängelt, daß es innerhalb der Verbände keine Ethikkommissionen zur Beurteilung von Verdachtsfällen gibt.
Spätestens seit dem Fall des Eiskunstlauftrainers Karel Fajfr können die Sportorganisationen das Thema jedoch nicht mehr als Marginalie übergehen. Im Sportbund von Nordrhein-Westfalen, berichtet Enders, arbeite ein Referent zu dem Thema, und die Gleichstellungsministerin des Landes NRW hat zum Thema „Sexueller Mißbrauch von Frauen im Sport“ eine Studie in Auftrag gegeben.
Wenig ehrenhaft sieht die Realität aus. Egal ob im Breiten- oder Leistungssport: Mittels übler Druckmittel werden die Opfer oft jahrelang ruhiggestellt. Wer auspackt, kann gehen – so einfach ist das. Dafür sorgen nicht zuletzt Trainer, die der Verband als „harte Hunde“ schätzt und als Leistungserzeuger für unverzichtbar hält. Das Schweigen der Opfer dauert oft so lange, wie sie an Privilegien teilhaben dürfen.
Ein Hamburger Fußballtrainer lockte Jugendspieler unter dem Vorwand in seine Wohnung, ihnen einen Stammplatz in der Mannschaft zu geben. „Trainer lassen sich für ihre Arbeit mit Beischlaf bezahlen“, berichtet Ingrid Fischer vom Frauenbeirat des Landessportbundes Hessen. Ein Ausweg der bequemen Tour: die Stellenversetzung. Ein Volleyballtrainer, dessen Intimbeziehungen zu Spielerinnen allzu offenkundig wurde, avancierte wenige Monate später zum Jugendtrainer.
„Auszeit“ ist es neben vielen Präventiv-Anregungen zu verdanken, daß ein wenig beachtetes Thema präsentiert wird: der sexuelle Mißbrauch von Jungen. Zwar würden nur etwa ein Drittel aller Mißbrauchsfälle an Jungen geschehen, sagt Ursula Enders, „sie werden jedoch viel öfter als Mädchen außerhalb der Familie mißbraucht. Häufiger Tatbereich ist der Sport.“ Speziell für Jungs in Fußballklubs gab sie beim Zeichner Burkhard Schröter den Comicstrip „Der Mistkerl“ in Auftrag. Darin überlegen Jungs, was sie gegen die gleichnamige Hauptfigur tun können, die sich als grabschender Jugendtrainer betätigt.
Als der Comic in einer Kölner Ausstellung gezeigt wurde, hatten einige jugendliche Kicker Wiedersehenserlebnisse: „Genau das ist uns passiert“, hieß es. „Wir haben einen Trainer, der greift uns zwischen die Beine, oder der trägt Shorts, wo unten das Gebammel raushängt.“
Constanze Engelfried (Hg.): „Auszeit – Sexualität, Gewalt und Abhängigkeiten im Sport“. Campus 1997, 36 DM
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