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Festung Sewastopol will sich erobern lassen

Russen und Ukrainer haben ihren Streit um den Heimathafen der Schwarzmeerflotte mit einem Vertrag beigelegt. Jetzt wartet die Stadt auf westliche Investoren  ■ Aus Sewastopol Barbara Kerneck

Auf dem gepflegten Rasen hinter dem Sewastopoler Ufer-Vergnügungspark konferieren vertraulich ein Hase, ein Fuchs und ein Murmeltier, das sich imposant auf die Hinterbeine stellt und die Zähne fletscht. Im Gegensatz zu der jungen Frau, die mit einer Sammelbüchse davor sitzt, sind die Tiere ausgestopft. Das jahrelang geschlossene Sewastopoler Heimatmuseum will wieder aufmachen, genauso wie die ganze Stadt. Die größte Attraktion an der Promenade ist das Delphinarium. Die Direktion streitet es gern ab, aber die meisten der freundlichen Geschöpfe, die hier Kunststücke vorführen, gehörten zur Sowjetzeit einer militärischen Versuchsanstalt, wo sie unter anderem zum Transport von Minen angehalten wurden. Heute bilden sie ein quietschvergnügtes Anschauungsmaterial zum Thema „Konversion“.

214 Jahre lang ist Sewastopol Kriegshafen gewesen. Mit dem am 31. Mai dieses Jahres von den Präsidenten Jelzin und Kutschma unterzeichneten Vertrag über die Teilung der Schwarzmeerflotte erhielt auch der Ort ihrer Dislozierung einen neuen Status. Heute bemüht sich Sewastopol nach Kräften, eine zivile Stadt zu werden, in der die zwischen der Ukraine und Rußland aufgeteilten Buchten nur noch den Charakter militärischer Einsprengsel tragen. Bis vor zwei Jahren war die Stadt „geschlossen“. Um hierher zu reisen, bedurfte es einer schwer zu erlangenden Erlaubnis. So kam es, daß die Welt Sewastopol vergaß und die ersten Touristen, die heute schüchtern vorbeischauen, sich über seine surrealistische südliche Schönheit nicht genug wundern können.

In den beiden Weltkriegen wurde Sewastopol bis auf die Grundfesten zerstört und anschließend wieder aufgebaut – beide Male in schneeweißem Stein. Stalins Drang zum Monumentalen entlud sich Anfang der fünfziger Jahre auf den hiesigen Hügeln in die Horizontale. Das manifestiert sich in gewaltigen Freitreppen und in Terrassen mit den Ausmaßen von Fußballplätzen. Alles in allem ist dies eine Opernbühne, die nach Chören verlangt – und nach großen Leidenschaften.

Anfang der 90er Jahre fand die Bewegung der Krim-Separatisten hier ihren Aufmarschplatz. Als 1991 die Sowjetunion zerfiel, wurde die russische Mehrheit der Krim-Bewohner sich schmerzlich dessen bewußt, daß Nikita Chruschtschow 1954 in einem Anfall von Überschwang ihre Halbinsel der Ukraine geschenkt hatte. Aus Protest und ohne Konsequenzen deklarierte der Stadtsowjet Sewastopol zur „Stadt mit russischem Status“. Die Weltbank antwortete, indem sie die ganze Krim zur „politisch instabilen Zone“ deklarierte.

„Das Pressezentrum der russischen Schwarzmeerflotte verwandelte sich in eine Art Koordinationsstab für die Aktionen der örtlichen Patrioten“, sagt Hauptmann Nikolai Sawtschenko (44), der damals in diesem Zentrum arbeitete. Heute ist er Pressechef der „Seestreitkräfte der Ukraine“. Dem Vertrag vom Mai zufolge werden sie 18 Prozent der Schiffe der ehemaligen Schwarzmeerflotte umfassen. Die Russen bekommen die übrigen 82 Prozent, außerdem haben sie auf 20 Jahre den größten Teil der Buchten gemietet, alle Militärkankenhäuser der Stadt und den Offiziersklub im Zentrum.

Dessen schlankes Turmspiel klimpert stündlich ein Lied: „Das legendäre Sewastopol“. Sawtschenko wirft den Russen vor, daß sie die für die Ukraine bestimmten Schiffe verkommen ließen. Wie auch ein Teil der Infrastruktur müssen sie alle bis Ende des Jahres übergeben werden. „Wir nehmen das Gerümpel, das sie uns andrehen, mit geschlossenen Augen an“, berichtet der beamtenhaft-korrekte Mann, in dessen Brust ein starkes proukrainisches Engagement lebt. „Beide Stäbe“, sagt Sawtschenko, „haben jetzt den Befehl, sich zu lieben. Wir sind bereit dazu, damit endlich Ruhe wird.“

Eigentlich ist der ukrainische Offizier mit dem Vertrag ganz zufrieden. „Ohnehin bewerten wir jetzt die Rolle der Flotte neu“, sagt er. „Wir brauchen nur eine Küstenwacht, und mehr können wir uns auch nicht leisten.“ Sawtschenko erklärt, warum die meisten Sewastopoler und auch die russische Führung den Flotten- Teilungsvertrag vom Mai für den endgültig letzten halten: „Es gibt es nichts mehr zu teilen. Das Streitobjekt hat sich in Luft aufgelöst.“

Er beschreibt, wie hochgestellte Offiziere der Schwarzmeerflotte Mitte der 90er Jahre die großen Kürzungen des russischen Militär- etats zum Anlaß nahmen, um sich zu bereichern und alles nicht niet- und nagelfeste Schiffsinventar sowie einen großen Teil der Flotten- Infrastruktur an örtliche Sowjets oder Privatfirmen zu verpachten und zu verkaufen. Da wechselten die landwirtschaftlichen Betriebe der Flotte den Besitzer, Großbäckereien, Klubs, Wäschereien, Medikamentenlager. In einem Örtchen namens Wesjoloje wurde sogar ein ganzer Militärflugplatz mit Inventar verscheuert.

Die gemeinsamen Übungen der ukrainischen Flotte mit westlichen Staaten, wie dieser Tage das Manöver „Sea-Breeze“ zwischen Eupatoria und Odessa, begrüßt ihr Pressesprecher. Die Demonstrationen russischer Patriotinnen dagegen beunruhigen ihn wenig. „Da krächzt doch immer das gleiche Rentnerhäuflein seine Losungen.“ Und er fügt hinzu: „Es ist schlecht daß die Anwesenhait der Schwarzmeerflotte hier noch 20 Jahre dauern soll. In Sewastopol bleibt sie ein Reizfaktor.“

Die Wahrheit ist noch schwerer zu teilen als eine Flotte. „Im schlimmsten Falle hätte es zu Konflikten kommen können“, sagt Hauptmann Sergej Uchanjow im Stab der Russen. „Aber jetzt hoffen wir, daß die nächsten 20 Jahre im Geiste der Annäherung verlaufen.“ Hat sich die Bedeutung der Schwarzmeerflotte auch für die Russen verändert? Uchanjow verneint empört. Noch mehr verdüstert sich seine Miene bei der Erwähnung des Manövers „Sea- Breeze“. „Die Legende dieses Manövers trägt nicht ganz ethischen Charakter“, sagt Uchnjow, „sie geht von der Nichtreguliertheit unserer Beziehungen aus.“

Warum haben die Russen nicht versucht, die Legende zu ändern? Wurden sie nicht rechtzeitig eingeladen? „Rechtzeitig schon“, gibt Uchanjow zu. „Aber an der Teilnahme hindern uns gewisse Werte, die sich in unserem Bewußtsein wiederbeleben.“ Er sucht nach Worten, um diese Werte zu charakterisieren. Es scheint, als gleiche die Position des russischen Oberkommandos nicht nur der Attitüde des Murmeltiers im Ufer- Park, sondern als sei sie, genau wie dieses, auch ohne Fleisch und Blut.

„Es handelt sich gleichzeitig um historische und postsowjetische Werte.“ Zum Abschied deutet dieser Pressesprecher an, daß auch viel Theaterdonner in den russischen Antimanöverprotesten mitgrollt: „Ach, wissen Sie“, ruft er, „der Gipfel dieses Problems ist doch schon überwunden.“

„Die Leute bei uns haben schon längst begriffen, daß man von Meetings nicht satt wird“, sagt Valeri Iwanow (51), demobilisierter Oberst der Schwarzmeerflotte, Geschäftsmann und Student der Wirtsschaftswissenschaften und stellvertretender Vorsitzender des Stadtsowjets. Hemdsärmlig sitzt er in seinen Amtsräumen. Hier hat er zu seinem Auftrag gemacht, worin schon seit sechs Jahren seine persönliche Obsession besteht: in einem Teil von Sewastopol eine lokale Freihandelszone zu errichten.

Sein Projekt wurde im Januar vom Stadtsowjet beschlossen und ist von 16 ukrainischen Ministerien bereits zu 90 Prozent gebilligt. Iwanow preist die Attraktionen der Stadt in den höchsten Tönen: ein Territorium von 1.074 Quadratkilometern, davon reichlich Wälder, 158 Kilometer Meeresgrenze, 1,7 Kilometer Anlegestellen für Handelsschiffe. Auf 26.000 Quadratmetern vorwiegend geheizte Lagerhäuser. Und ein Terminal, das eine Million Tonnen Erdöl im Jahr umschlagen kann.

Zusätzlich hat Iwanow eine Finanzierungsgesellschaft gegründet, die drei Fährlinien nach Istanbul, Warna und Poti plant. Da der riesige Sewatopoler Ozean-Fischereihafen an eine von der Russischen Föderation gemietete Bucht grenzt, soll der Fischereihafen in der Kamyschowskaja Bucht ausgebaut und mit einem großen Container-Terminal versehen werden. Im letzten Monat haben der König der US-Hafenspediteure, Christos Kretikos, und der Leiter der Unterkommission des amerikanischen Senates für Auslandsinvestitionen, Mac Connell, Sewastopol besucht. Mac Conell versprach Investitionen, und Kretikos unterschrieb ein Absichtsprotokoll über eine Zusammenarbeit beim Ausbau des Hafens. Iwanow freut sich und bedauert, daß in der Vergangenheit potentielle Investoren es dabei beließen. „Daß sie vor dem Flotten-Teilungsvertrag nicht investieren wollten, kann ich verstehen“, meint er. „Aber jetzt gibt es doch keine Ausrede mehr!“

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