: Mord im Rathaus
Teil 2 des Enthüllungsromans: Hatte etwa der CDU-Spitzenkandidat was mit der Toten? ■ Von Silke Mertins
Was bisher geschah: Eine nackte Frauenleiche lag im Bürgermeisteramtszimmer – zwei Wochen vor der Wahl! Der SPD-Krisenstab beriet unter höchster Geheimhaltung, wohin mit ihr. Dann fuhr eine Delegation zum Rathaus.
Langsam drückte Bürgermeister Henning Vroscherau (*) die Klinke zu seinem Amtszimmer runter. „Ist sie noch da?“flüsterte Elisabeth Knausch und drängelte sich ins Zimmer. „Ohjeohjeohjemine“, entfuhr es ihr, als sie die Tote sah. Sie zog ihre Häkelstola fester um die Schultern und rümpfte die Nase: „Ich glaube, es riecht schon.“
„Wir sollten die Leiche nicht zur GAL bringen“, quengelte Innensenator Hartmut Schocklage. Vroscherau und Genosse Walter Zett, die um Schocklages Schwäche für die grüne Spitzenkandidatin Christa Steger wußten, warfen ihm verächtliche Blicke zu. „Weichei“, herrschte Vroscherau ihn an. Eilig machte man sich ans Werk und hievte die Tote in den Altpapiercontainer, den Umweltsenator Fritz Feuerholz besorgt hatte. „Puh, ist die schwer“, stöhnte Senatssprecher Franz Groß. Einen Moment lang war nur noch männliches Geschnaufe zu hören.
Die Leiche paßte nicht ganz in den Container. Ein Arm lugte unter dem Deckel hervor. Auf der Treppe wackelte die tote Extremität bei jeder Stufe, so daß es aussah, als ob die Tote zum letzten Gruß winken würde. Finanzsenator Ortwin Wunde verlor das Gleichgewicht. Das sozialdemokratische Transportunternehmen geriet ins Wanken. Polternd kippte der Leichenbehälter um, und die Tote kugelte die Treppe hinunter.
Vroscherau kniff ärgerlich die schmalen Lippen zusammen und besah sich die Leichenhand. „Ich glaube, der Finger ist gebrochen“, sagte er. „Tja“, kommentierte Senatssprecher Franz Groß. Eilig wurde das Gefährt wieder aufgerichtet und die Tote – diesmal kopfüber – hineingesteckt. Mit über den Containerrand baumelnden Beinen wurde die Fahrt durchs Rathausfoyer fortgesetzt.
Doch da! Ein Schatten! Oder ein Geräusch? „Schnell hier hoch“, zischelte Genosse Zett. „Aber hier geht's doch zur CDU“, protestierte Vroscherau. „Der Weg ist kürzer“, stimmte auch Schocklage dem neuen Plan zu. Er hatte sich den Generalschlüssel besorgt und schloß die Tür der CDU-Fraktion auf. „Wir stellen sie hinter den Vorhang“, kommandierte Walter Zett, als der Leichenzug im Büro des CDU-Spitzenkandidaten Ole von Schneutz angekommen war. Gesagt, getan.
Am nächsten Morgen schlenderte Ole von Schneutz mißmutig in sein Zimmer. Er erwartete die Redakteurin Sabine Meier-Tunneltal vom Hamburger Morgenblatt. Da war sie auch schon und flötete „Guten Morgen“. Man setzte sich, Kaffee wurde gebracht. Mitten im Gespräch hob Frau Meier-Tunneltal unerwartet zu einem schrillen und nicht endenwollenden Entsetzensschrei an. Hinter dem Vorhang rutschten zwei nackte Beine langsam abwärts.
Die Polizei war schneller da, als der CDU-Spitzenkandidat es vermutet hatte. „Hatten Sie ein Verhältnis mit der Toten?“fragte Wolfgang Langenstädter von der Mordkommission streng. „Ich???“gab Ole von Schneutz zurück. „Ich???“Er räusperte sich. „Glauben Sie mir, das ist völlig abwegig.“Er war nah daran, die Fassung zu verlieren.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im Rathaus und alsbald in der ganzen Stadt. Der Bürgermeister strich sich über die Krawatte und starrte grübelnd auf den Teppichboden. Komisch, was war das denn für ein Zettel dort unter seinem Schreibtisch. Er hob ihn auf und wurde blaß. „Herzliches Beileid aus der Hafen-City“, stand dort geschrieben.
Fortsetzung am Donnerstag
* Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind natürlich rein zufällig und vollkommen unbeabsichtigt.
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