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Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

...geht wählen. Demnächst in Hamburg. Und alle, alle legen für ihn den roten Teppich aus. Auf rund 100.000 lesbisch/schwule Wählerstimmen schätzt man den besonderen Anteil in der Hansestadt, da lohnt es sich zu werben.

Den sichersten PR-Trick haben fast alle drauf: GAL, SPD und FDP schicken „offen schwule“ Kandidaten ins Rennen. Nicht Kompetenz in homosexueller Emanzipationspolitik ist gefragt, es reicht, gerne mit Männern zu vögeln und daraus kein Geheimnis zu machen. Wenn derlei bed credibility nicht ausreicht, steigt der Spitzenkandidat mit in die Bütt. Wie bei der SPD. So zeigt sich im schwulen Stadtmagazin Hinnerk die Nummer 1 der SPD, Henning Voscherau, mit seinem „offen schwulen“ Kollegen und Wahlkampfmanager Lutz Kreschmann. Darüber steht, ganz dick und rot: „Zwei Männer, die sich mögen!“

Soweit hat sich für ein paar Stimmen mehr noch keiner gemein gemacht mit der homosexuellen Klientel. Und doch gibt die SPD zur symbolischen Paarung noch wohlfeile Versprechungen. Neben der in Aussicht gestellten „notariell beglaubigten Partnerschaft“ (die „Ehe light“, wie Spötter meinen) setzen die Genossen auf noch mehr Zusammenarbeit zwischen Schwulen und der Polizei, um gegen antischwule Gewalt vorzugehen, und in Sachen Aids sind sie natürlich gegen Ausgrenzung.

Daß die SPD mit diesem Floskel-Repertoire jetzt auch noch um homosexuelle Frauen und Männer buhlt, muß einen ganz besonders fuchsen: Helmut Schmidt. Der einstige Bundeskanzler wollte nach eigenem Bekunden nie ein „Kanzler der 175er“ werden. So lehnte er es empört ab, sich während seiner Amtszeit auch nur mit dem Paragraphen 175 zu befassen. Dabei rissen die Gerüchte nie ab, daß er selbst zur Familie gehöre und gerade darin seine abgrundtiefe Homophobie begründet liege.

Dabei war Schmidt nicht der einzige in der Partei, der die Homosexuellen mißachtete. In der Geschichte der SPD hat sich kaum jemand hierzu besonders engagiert. Es scheint, als sei mit einer Stellungnahme im Vorwärts am 24. Oktober 1907 die Parteilinie für das ganze Jahrhundert ausgegeben worden: „Wir sind Gegner der Bestrafung der homosexuellen Liebe, weil sie in der Tat in vielen Fällen ein unwiderstehlicher natürlicher Trieb ist. Aber das kann uns vor der Tatsache die Augen nicht verschließen, daß es außer der angeborenen Homosexualität noch eine erworbene, oder sagen wir, künstliche gibt, die ein Produkt des Verfalls ist.“ Zwischen diesen beiden Polen – „natürlicher Trieb“ und „Produkt des Verfalls“ – pendelt die Partei je nach Stimmungslage hin und her, bereit, die Schwulen noch nicht einmal beim Namen zu nennen oder ihnen ordentlich Zucker zu geben, wenn's denn nur der Mehrheitsbeschaffung dient.

Wie sehr zwischen beiden Extremen nur Kilometer liegen können und keine Jahre, zeigt ein Vorfall aus Schwerin im August. Da mußte der Staatssekretär bei der SPD-Kultusministerin, Christoph Ehmann, seinen Hut nehmen. Homosexuelle Gerüchte waren aufgetaucht aus Ehmanns Bundeswehrzeit von 1964. Die Wahl im kommenden Jahr im Auge, ließ die SPD den Verdächtigen sofort fallen. Man müsse „die Fronten begradigen“, so die Genossen. Und auf „Zwei Männer, die sich mögen“ wartete man vergebens.

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