: Brieföffner aus Bonn
■ Das Innenministerium bereitet ein Gesetz über die Verschlüsselung elektronischer Post vor: Ein Horrorkatalog
Genehmigen, verbieten, hinterlegen: Geht es nach dem Willen von Kanzleramt und Innenministerium, von Postressort und Bonner Hardthöhe, dann dürfen nur noch genehmigte Verschlüsselungssysteme genutzt werden. Nicht zugelassene Verfahren werden einem grundsätzlichen Verbot unterworfen. Selbst ein nationaler Alleingang wird erwogen.
„Bericht zur Gefährdung des Informationsaufkommens der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden durch den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren in Telekommunikation und Datenverarbeitung“ heißt das neunseitige Papier. Es trägt als Stempel „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ und soll die Minister unterrichten. Für Bürgerrechtler ist es ein Horrorkatalog. Die Beamten haben erkannt, daß beim Einsatz der Kryptographie „die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden trotz bestehender legaler Abhörmöglichkeiten de facto keine Möglichkeit mehr haben, die übermittelten und gespeicherten Informationen zu entziffern“. Angemahnt wird ein „dringender“ Entscheidungsbedarf, „weil mit dem zunehmenden Einsatz von Verschlüsselungsverfahren technische und administrative Strukturen geschaffen werden, die bei einer späteren Regelung beträchtliche zusätzliche Kosten verursachen können“.
Drei Regelungsmöglichkeiten werden präsentiert. Die harmloseste sieht vor: „Netzbetreiber beziehungsweise Diensteanbieter, die Verschlüsselung als Dienst anbieten bzw. eigenständig vornehmen, werden zur Bereitstellung der in Frage kommenden Daten in unverschlüsselter Form verpflichtet.“ Soweit dabei Chiffrierschlüssel verwendet werden, werden die Anbieter zu deren Aufbewahrung und gegebenenfalls „zur Herausgabe dieser sowie anderer, in ihrem Besitz befindlicher zur Entschlüsselung notwendiger Informationen verpflichtet“.
Dieser Vorschlag, so ist in dem Papier vermerkt, wird mit Ausnahme des Wirtschaftsministeriums von den Bonner Ressorts „als unzureichend“ abgelehnt. Vorschlag Nummer zwei erweitert Vorschlag eins um einen „Genehmigungsvorbehalt für das Inverkehrbringen von Verschlüsselungssystemen“. Dafür spreche, daß dann die Beschaffung freier, nichtzugelassener Software „erheblich erschwert“ würde. Der Einsatz nichtgenehmigter Systeme könne auch einen „Ansatz für weitere Nachforschungen der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden bieten“. Einschränkend wird angemerkt, daß dabei ein gesamteuropäischer Ansatz im Auge behalten werden müsse, „damit es nicht zu einer einseitigen wirtschaftlichen Belastung deutscher Hersteller und Vertreiber kommt und nicht das Ziel wegen der leichten Beschaffbarkeit von Verschlüsselungssystemen aus dem benachbarten europäischen Ausland verfehlt wird“.
Das Innenministerium hält allerdings eine schnelle europäische Einigung für ausgeschlossen. Abhilfe soll deshalb Vorschlag Nummer drei bringen. Über Regelung eins und zwei hinaus wird „ein grundsätzliches Verbot der Nutzung ungenehmigter Verfahren“ erlassen. Charmant finden die Verfasser, es „bedürfte hier nicht zwingend eines gesamteuropäischen Ansatzes, weil das Nutzungsverbot umfassend die Nutzung – unabhängig vom Weg der Beschaffung – in Deutschland regelt“.
Eingeräumt wird freilich, „daß durch steganograpische Verfahren, durch Mehrfachverschlüsselung und Datenkompression die Tatsache der ,illegalen‘ Verschlüsselung verschleiert werden kann. Zugegeben wird weiter, daß diese Regelung das organisierte Verbrechen kaum vom Einsatz nichtlizenzierter Software abbringen wird. Das hindert aber weder Kanzleramt, Innen- oder Verteidigungsministerium, weder das Ressort für Post und Telekommunikation noch das Ministerium für Finanzen und die als „Bedarfsträger“ bezeichneten Sicherheitsbehörden, dem restriktivsten der drei Vorschläge das Wort zu reden.
Nur die FDP-geführten Ministerien ziehen nicht mit. Das Wirtschaftsministerium (BMWi) „lehnt diese Lösung ab“. Im Justizministerium werden „wesentliche Bedenken des BMWi mitgetragen“. Im Kabinett gebe es aber dennoch eine „große Mehrheit“ für restriktive Regelungsmodelle.
Etwas anders sieht das der Koalitionspartner. Die FDP „wird sich gegen alle Versuche stemmen, den Datenschutz in der Informationsgesellschaft zur Disposition zu stellen“, schrieb Generalsekretär Westerwelle in der FAZ und warnte davor, daß „ganz erheblich der geschäftliche Bereich“ betroffen sei. Die Industriespionage werde durch Weitergabe hinterlegter Schlüssel „bisher gekannte Grenzen überschreiten“.
Für den Schutz des elektronischen Briefgeheimnisses setzen sich seit langem auch Bündnis 90/ Die Grünen und die PDS ein. Für die SPD fordert das Mitglied der Enquetekommission Informationsgesellschaft, Doris Barnett, die Bundesregierung auf, „die Sicherheit in Datennetzen nicht länger durch unsinnige Gesetzesvorhaben zu blockieren“. Wolfgang Gast
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