: Zu altmodisch
■ ... sagte die ARD und kippte das Funkkolleg - das sehr modern sein könnte
Wenn Kollegiaten in Studienzirkeln Zertifikate erwerben, klingt das bebrillt und verstaubt nach mittelalterlichem Lernen. Es kann sich aber auch um das Funkkolleg handeln, einen multimedialen und interaktiven Medienverbund aus Radio, Studienbegleitbriefen und Volkshochschulkursen, der mit dem Mittelalter nur soviel gemeinsam hat, daß seine Zeit abgelaufen scheint. Denn das im Oktober startende 31. Funkkolleg zum Thema „Deutschland im Umbruch“ wird das letzte sein.
Mehr als 700.000 Teilnehmer haben sich in den letzten dreißig Jahren per Radio über die verschiedensten Themenbereiche informiert: von Musikgeschichte bis Humanökologie von Praktische Philosophie/Ethik bis Psychobiologie. Dennoch ist die Zahl der aktiven Kollegiaten ständig zurückgegangen. Beim Kolleg über „Steuern, das Geld der Gesellschaft“ (1995) waren es nur noch knapp über 10.000. Die 2,5 Millionen Mark, die die neue Staffel kostet teilen sich WDR, NDR, HR, Radio Bremen, die Deutsche Welle und das DeutschlandRadio Berlin. Der Föderalismus spielt eine gewichtige Rolle im langsamen Sterben des Funkkolleg. Nachdem sich zunächst die süddeutschen Anstalten ausgeklinkt haben, will nach dem Saarländischen Rundfunk nun auch der NDR kein neues Kollegprogramm mehr finanzieren, so daß eigentlich nur noch das DeutschlandRadio und die Deutsche Welle das Format fortführen wollten. Das Argument der Aussteiger: Zu teuer sei die Sache, zu altmodisch die Form. Dabei könnte Multimedia-Lernen etwas sehr Modernes sein, wenn man nur wollte. Doch auch die Kollegmacher haben Entwicklungen wie das Internet verschlafen und lange auf verstaubten Vermittlungsformen beharrt.
Nun entledigt sich die ARD sich Stück für Stück ihres Bildungsauftrags und muß sich dafür von der Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes, Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, vorwerfen lassen, diesen „Aufkärungsauftrag nur als Lippenbekenntnis für Gebührenerhöhungen“ zu mißbrauchen. Die Ressource Bildung als Kostenfaktor zu betrachten führe dazu, daß sich die Öffentlichkeit immer mehr ihren finanziellen Pflichten entziehen wolle, um die Kosten auf den einzelnen abzuwälzen. Und außerdem, so Süssmuth weiter, sei sie für das Altmodische, in dem Sinne, daß Bildung als das spürbar werde, was sie (auch) sei: als Anstrengung. Bei solcher Pädagogik schalten auch engagierte Radiohörer natürlich eher ab.
Für die pädagogischen Zumutungen von „Deutschland im Umbruch“ sind der Soziologe Hans Bertram, der Politologe Klaus von Beyme und der Historiker Christoph Kleßmann verantwortlich. Die zwanzig Studieneinheiten sind in vier Blöcke gegliedert. Der „Wandel der Weltgesellschaft, von 1989 nach Europa“ befaßt sich unter anderem mit Massenmigrationen (“Der wandernde Kontinent“). In den „Historischen Perspektiven“ soll sowohl die doppelte Vergangenheit, als auch das Ende des Dritten Weges diskutiert werden. „Brüche und Perspektiven“ beschäftigen sich u.a. mit der verpaßten Chance einer neuen gesamtdeutschen Verfassung und dem Faktor PDS. Im letzten Block geht es um „Zeiten und Räume der Deutschen“, vom Risiko Einsamkeit in der Individualisierung bis zu neuen Chancen für die Stadtentwicklung. Damit das alles nicht zu trocken wird, übernimmt erstmals der Hörspielregisseur Peter Greoger die Gestaltungen der Sendungen. Ästhetisch begibt sich der Medienverbund Funkkolleg nun langsam auf den Stand der medienpädagogischen Technik.
In der ARD soll auch in Zukunft ein Bildungsprogramm geben, verlangte die Kultusministerkonferenz, und die Sender sagten erst einmal ja. Doch wie es aussehen soll – und wer es bezahlen soll, weiß kein Mensch. Jochen Meißner
Anmeldungen: Funkkolleg-Zentralbüro, Robert-Meyer-Str. 20, 60486 Frankfurt/M., Tel. 069/772869. Studienbriefe:
98,20 DM
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