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Wirtschaftswunder auf rein pflanzlicher Basis

■ Quo vadis Cannabis: Die Hanfwirtschaft schreitet im zweiten Anbaujahr zügig voran

Im Gegensatz zur allgemeinen Wirtschaftslage erfreut sich das junge Pflänzchen der deutschen Hanfindustrie bester Gesundheit. Im zweiten Anbaujahr hat sich ihr Bestand in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Waren im ersten Jahr die Anbauflächen über ganz Deutschland verteilt, konzentrierte sich der Anbau in diesem Jahr auf den Umkreis bereits bestehender oder geplanter Faseraufschlußanlagen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten kann das geerntete Hanfstroh nur etwa 50 Kilometer zu einer Aufschlußanlage transportiert werden. Der Übergang vom Ausprobieren einer neuen Frucht zum kommerziellen Anbau zeigt sich auch an der Zahl der anbauenden Landwirte: Trotz doppelter Gesamtanbaufläche sank die Zahl der Hanfbauern auf 475.

Im Gegensatz zu der positiven Entwicklung im Hanfbereich ist der Flachsanbau in Deutschland von 4.595 ha im Jahr 1996 auf bescheidene 1.270 ha im Jahr 1997 zusammengebrochen. Ein wichtiger Grund ist die neue EU-Regelung, die die EU-Flächenbeihilfen von einem Verarbeitungsnachweis innerhalb von zwei Jahren abhängig macht. Aufgrund der immer noch nicht funktionstüchtigen Flachsaufschlußanlagen in Brandenburg und Sachsen sowie einer Absatzflaute für Flachs im Textilbereich ist der Verarbeitungsnachweis derzeit kaum zu erbringen.

Es ist zu erwarten, daß der Verarbeitungsnachweis im nächsten Jahr auch für Hanf ins Haus steht. Ein vergleichbarer Einbruch in den Anbauzahlen ist dennoch unwahrscheinlich: Für den größten Teil des diesjährigen Hanfs bestehen bereits jetzt Abnahmeverträge – so mit der grenznahen niederländischen Firma Hempflax oder der Badischen Naturfaseraufbereitung in Baden-Württemberg.

Einen Engpaß stellen nach wie vor die in der EU zugelassenen und beihilfefähigen Hanfsorten dar. Die einzig kommerziell verfügbaren Sorten aus Frankreich sind nicht optimal an das deutsche Klima angepaßt und haben – primär aufgrund der derzeitigen Monopolsituation – überhöhte Saatgutpreise.

Eine Entspannung dieser Situation ist in Sicht: Ungarische, polnische und ukrainische Hanfsorten und sogar eine deutsche Sorte (Fasamo) befinden sich bereits seit etwa zwei Jahren auf dem Zulassungsweg. Für 1998 oder spätestens 1999 wird eine Erweiterung der EU-Sortenliste erwartet. Niedrigere Saatgutpreise und höhere Erträge der neu zugelassenen Hanfsorten versprechen eine höhere Rentabilität des Hanfanbaus. Diese wird zukünftig auch benötigt, um die sicherlich weiter fallenden EU-Flächenbeihilfen abzufangen.

Allen Warnungen zum Trotzdem – sei es der Hinweis auf die Sturm-und Drang-Phase des Flachses oder auf die notwendige Synchronisierung von Faserproduktion und -nachfrage – werden dieses und nächstes Jahr eine Vielzahl von Hanfverarbeitungsanlagen in Deutschland entstehen. Die Aktivitäten von seiten entsprechender Unternehmen sind erheblich größer als erwartet. Sollte sich die industrielle Nachfrage nach Hanffasern tatsächlich ähnlich schnell entwickeln, wird die deutsche Hanfwirtschaft schon bald entscheidend an Bedeutung gewinnen.

Wenn sich aber die Nachfrage erst langsam entwickelt, werden Überkapazitäten und Preisdumping die Folge sein. Dann wird es vor allem auf Technik, Logistik und sichere Abnahmeverträge ankommen. Erstrebenswert sind übergeordnete Faserverbünde, die die Risiken sowohl auf Betreiber als auch auf Abnehmerseite reduzieren können.

Im Februar 1997 wurde die HanfFabrik Zehdenick, ein Unternehmen der TreuHanf Berlin, eröffnet. Dort werden seit Frühsommer Hanffasern zu Vliesen verarbeitet, die zum Beispiel als Trittschalldämmung oder Geotextilien Absatz finden. Hanfgeotextilien werden zur Dachbegrünung und Böschungsbefestigung genutzt. In vielen Fällen übernehmen Pflanzenwurzeln bereits nach ein bis zwei Jahren den Schutz des Bodens. Während synthetische Geotextilien dann im Boden zurückbleiben, verrotten Hanfgeotextilien, nachdem sie ihre Pflicht getan haben. Bislang wird in Zehdenick fast ausschließlich mit polnischem Hanfwerg gearbeitet; die Einbeziehung deutscher Hanffasern ist laut Geschäftsführer Christian Krasemann jedoch noch für dieses Jahr geplant.

Noch Ende dieses beziehungsweise Anfang nächsten Jahres werden weitere Faseraufschlußanlagen für Hanf in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen in Betrieb gehen, im Laufe des Jahres 1998 ist die Inbetriebnahme von Anlagen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt geplant. Konkrete Planungen liegen inzwischen für fast alle Bundesländer vor. Michael Karus

Der Autor ist Leiter des Nova Instituts für politische und ökologische Innovation, Hürth.

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