: 90facher Mißbrauch
■ 42jähriger Kellner wegen sexuellen Mißbrauchs seiner beiden Töchter in 90 Fällen vor Gericht. Prozeß beleuchtet die Frage, wie weit Eltern im Körperkontakt mit ihren Kindern gehen dürfen
Das Kriminalgericht in Moabit verhandelt seit gestern gegen einen 42jährigen Kellner wegen sexuellen Mißbrauchs in 90 Fällen. Rudi B. wird beschuldigt, er habe zwischen 1989 und 1995 durch seine beiden Töchter sexuelle Handlungen an sich vornehmen lassen. Seine Stieftochter Barbara* wurde 1995 elf Jahre alt, seine leibliche Tochter Bettina* fünf Jahre. Trotz der vorgeworfenen 90 Mißbrauchshandlungen ist dieser Fall – gemessen an vielen anderen Verfahren in Moabit – von nachrangiger Bedeutung. Laut Anklage sollen die Taten stets passiert sein, wenn der Angeklagte mit Barbara oder Bettina badete. Das jeweilige Kind soll das erigierte Glied von Rudi B. ergriffen, und dieses auf sein Geheiß mit „hoch-und runter- Bewegungen“ gewaschen haben.
Der Angeklagte bestreitet die Tat. Mit Barbara habe er nie gebadet. Mit Bettina habe er zwar öfter die Wanne geteilt, sei sich aber keiner Schuld bewußt. Lediglich ein Mal habe er sich von der dreijährigen auf deren Wunsch hin „von oben bis unten“ waschen lassen. Als das Kind dies auch mit seinem Penis getan habe, habe er dies geschehen lassen, um zu vermeiden, daß es durch ein Verbot „erst richtig interessant“ wird.
Beide Mädchen sind seit Ende 1995 im Heim. Die Mutter, eine 44jährige vom exzessiven Alkohol- und Tablettenkonsum gezeichnete Aushilfskellnerin bestätigte gestern, daß die Vorfälle erst 1996 im Zuge eines Sorgerechtsverfahrens „hochgekommen“ seien. Sie habe Barbara zwar einmal mit Rudi B. beim Waschen von dessen Glied in der Wanne ertappt. Sie habe das Kind sofort herausgenommen, an dem Thema aber zunächst nicht weiter gerührt. Ihr späterer Lebenspartner habe ihr dann berichtet, daß ihm Bettina beim gemeinsamen Baden mit den Worten an das Glied gefaßt habe, „das mußte ich bei Vater auch immer so machen“. Der Angeklagte behauptete dagegen, die Kinder seien von einem späteren Lebenspartner der Frau mißbraucht worden. Auch gegen diesen ist ein Ermittlungsverfahren anhängig.
Auch wenn es nicht so aussieht, als ob das Gericht den Angaben des Angeklagten Glauben schenken wird, beleuchtet der Prozeß dennoch die Frage: Wieweit dürfen Eltern beim Körperkontakt mit ihren Kindern gehen? Denn daß aus harmlosen Situationen aus Übereifer bisweilen auch ein sexueller Mißbrauch werden kann, ist nicht zuletzt am Beispiel des Wormser Prozesses deutlich geworden.
Sigrid Richter-Unger, Leiterin der mit sexuellem Mißbrauch von Kindern befaßten Organisation Kind im Zentrum (KIZ), warnt deshalb auch vor einer Tabuisierung der Körperlichkeit. Wenn Kleinkinder die Genitalien der Eltern aus Neugierde berührten, sei dies normal, solange der Erwachses dies nicht als sexuelle Stimulanz mißbrauche: „Der Erwachsene muß die Grenze wahren.“ Der Prozeß wird heute fortgesetzt. Plutonia Plarre
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