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Immer Flintengeknatter vor der Tür

Vor 150 Jahren wurde das Bethanien als Diakonissenheim und Krankenhaus eröffnet. Das Haus erzählt ein Stück Frauengeschichte Kreuzbergs und ist Symbol der Hausbesetzerbewegung. Heute ist das Bethanien Künstlerhaus  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wilde Songs, revolutionäre Zeiten, stürmische Jahre der Hausbesetzungen. Straßenschlachten zwischen der Polizei und der linken Kreuzberger Szene. Knüppel wurden ausgepackt, Mollis flogen, und am Ende war gar ein Gebäude besetzt und auf den legendären Namen Georg-von-Rauch-Haus getauft. „Das Bethanien von Anarchisten erobert“, titelte die Boulevardpresse. „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“, echote es zurück. Das einstige Diakonissenhaus avancierte 1971 gar zum festen Bestandteil deutschen Liedguts. „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da, und Mensch Meier mußte heulen, das war wohl das Tränengas“, deutschrockten Rio Reiser und die Ton Steine Scherben. Und alle sangen mit – lauthals, high und frei.

Wilde Zeiten hat das frühere Kranken- sowie Schwesternheim und heutige Künstlerhaus Bethanien nicht erst in den siebziger Jahren gesehen. 1848, ein Jahr nach seiner Eröffnung, bekämpften sich Märzrevolutionäre und Soldaten vor dem Haus. Barrikaden entstanden, Schüsse fielen. Theodor Fontane, der in der Krankenhausapotheke damals die Diakonissinnen ausbildete, erzählte später, er sei unter „herumballerndem“ Volk und Bürgerwehr sowie „Flintengeknatter“ in das backsteinerne Krankenhaus eingezogen. Fontane hatte einen guten Standort für seine Apotheke gewählt, konnte er doch den Verletzten gleich seine Pillen andrehen.

1918, nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ausfall kaiserlicher Zuwendungen, stand die Zukunft des evangelisch geleiteten Krankenhauses mit seinen beiden berühmten Eingsangstürmchen ebenso auf dem Spiel wie in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Aber während der Bombenhagel ringsum den Bezirk Kreuzberg verwüstete, bleib das Haus relativ unbeschädigt. Und selbst der größte Angriff auf das Bethanien, der vorsah, es in den späten sechziger Jahren abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, konnte abgewehrt werden: eben durch jene Hausbesetzungen und die Entscheidung des Senats, dort ein Künstlerhaus einzurichten.

Weniger bekannt sind die Kämpfe, die sich innerhalb des Hauses abspielten. Denn kaum war die neogotische Anlage für das Diakonissenhaus 1847 auf Initiative Friedrich Wilhelms des IV. als Ausbildungsstätte für Diakonieschwestern und Pflegeanstalt für Arme gegründet worden, begann ein bis zur Schließung dauerndes Gerangel um die Leitung des Krankenhauses.

Während der König eine Oberin als Chefin des Bethaniens vorgesehen hatte, konterte die evangelische Kirche, die Leitung eines Schwestern- und Pflegehauses könne nur von einem Mann – einem Pfarrer – ausgeübt werden. Daß sich in dem Geschlechterkonflikt die Frauen durchsetzten, lag nicht nur an der ersten Oberin Marianne von Rautzan (1847 bis 1855), die gegen den herrschsüchtigen Bibelmann Ferdinand Schulz die Oberhand behielt. Weil die hufeisenförmige Anlage mit Krankenhaus, Schwesternwohnheim, Seniorengebäude, Kirche, Beamtenhaus und Wirtschaftshof sich zur Zentrale der Berliner Schwesternschaft entwickelte, hatten es die Männer in der „Weiberwirtschaft“ schwer. Die 400-Betten- Klinik mit 40 Räumen, in denen „zahlende und nichtzahlende Patienten“ lagen, wurde von fast 450 Schwestern betrieben, deren Tagesablauf aber aus unbezahltem medizinischem Pflegedienst, Bibelunterricht und einer Stunde Freizeit geprägt war.

Die Bethanien-Frauengeschichte fand ein Ende, als sich das Schwesternhaus immer mehr zu einer Klinik wandelte, Ärzte und Chirurgen das Sagen hatten und die Finanzierung ab 1918 zum Teil vom Staat übernommen werden mußte. 1930 wurde der erste Mann als Anstaltsleiter – gegen den (zaghaften) Protest der Diakonissinnen – eingesetzt, ab 1935 diente die erste bürgerliche Frau, Berta Renz, als Schwester Oberin unter seiner Fuchtel. Die Zahl der Diakonissinnen ging zurück, nicht zuletzt deshalb, weil sich der konservative Schwesternorden in der Nazizeit immer mehr zurückzog; dennoch wurden bis 1940 jüdische Patienten dort versorgt.

1947 feierte das Bethanien zwar noch drei Tage lang seinen 100. Geburtstag, seine Bedeutung für den Bezirk indessen konnte es nicht zurückgewinnen. Das Aus für das Krankenhaus läutete die evangelische Kirche ab 1966 ein. Zu hohe Betriebskosten, kaum Schwesternnachwuchs und die Konkurrenz des neuen Urban- Krankenhauses führten dazu, daß die Landeskirche dem letzten Patienten 1970 das Bett aufkündigte. Das Haus wurde geschlossen, für 10 Millionen an den Senat verkauft und stand danach jahrelang leer.

Das Bethanien ist heute ein Künstlerhaus. 1974 eröffnete der Senat den renovierten Komplex für Ateliers und Stipendiaten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Insgesamt residieren bis dato nicht weniger als 25 Institutionen im Bethanien. Dazu gehören eine Bibliothek, Ausstellungsräume, die Druckerwerkstatt des Berufsverbandes Bildender Künstler und ein Kino.

Die Ansiedelung auch kulturfremder Einrichtungen im Bethanien, wie das Seniorenheim und bezirkliche Ämter, will die Kunstamtleiterin Krista Tebbe nicht als Dauerzustand hinnehmen. Derzeit würden Gespräche mit dem Bezirk über Nutzungsänderungen geführt. Das Bethanien solle zu einem reinen Kultur- und Kunsthaus verwandelt werden. Und auch das mittlerweile legal bewohnte Rauch-Haus will Tebbe von den angestrebten Veränderungen nicht davon ausnehmen. Der Kampf geht also weiter um das Bethanien: Kunst gegen Sozialpalast – ein unwürdiges Gezänk zweier Partner, die eigentlich andere Gegner haben.

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