■ Hamas: Zaghafte Signale für eine friedliche Lösung in Nahost: Auf dem Weg der PLO?
Noch erkennt Hamas-Führer Scheich Ahmed Yassin Arafats Autonomiebehörde das alleinige Mandat für Verhandlungen zu. Doch fordert er ungeniert, daß Arafat sich mit ihm beraten müsse, um der „palästinensischen Einheit“ willen, wie er stets betont. Die radikal-islamische Organisation ist damit zumindest indirekt zum Verhandlungspartner mit Israel geworden. Auch wenn Hamas dem „bewaffneten Kampf“ nicht abgeschworen hat, die versöhnlicheren Töne nehmen zu. Schon vor der Mashal-Affäre hatten die Fundamentalisten Israel einen Waffenstillstand angeboten – trotz aller Dementis. Und ein Berater von Scheich Yassin hat jetzt sogar die Anerkennung des Existenzrechts in Aussicht gestellt, wenn alle Siedlungen und die 1967 besetzten Gebiete geräumt würden. Unter den Palästinensern ist diese Position mehrheitsfähig. Und damit eine direkte Konkurrenz zu den demütigenden Ergebnissen der Oslo-Vereinbarungen.
Es war nicht nur die Freilassung von Scheich Yassin, die Hamas auf die politische Bühne des Nahen Ostens gehoben hat. Israels Ministerpräsident selbst hat die Fortsetzung des Friedensprozesses an die Bedingung geknüpft, daß es keine Selbstmordanschläge mehr gibt. Damit hat er Hamas de facto ein Vetorecht im Friedensprozeß zuerkannt. Und Arafat gezwungen, mit Hamas zu verhandeln. Vorerst über die Freilassung der jüngst festgenommenen Hamas-Aktivisten und die Wiedereröffnung der geschlossenen Hamas-Institutionen. Und dann zwangsläufig über die palästinensische Strategie im Friedensprozeß.
Hamas hat den ideologischen Traum von einem islamischen Palästina in den Grenzen von 1948 gewiß noch nicht über Bord geworfen. Und die Befürworter von Selbstmordanschlägen werden nicht über Nacht ihre Meinung ändern. Aber die Organisation hat – wie widersprüchlich auch immer – erstmals einen Weg eingeschlagen, den zuvor die PLO selbst durchlaufen hat, den Weg der Annäherung an die politischen Realitäten. Über kurz oder lang wird dies Hamas den Weg in palästinensische Regierungs- und Ministerämter öffnen. Die taktische Zurückhaltung von Hamas dürfte fürs erste aber eine unmittelbare Stärkung Arafats zur Folge haben. Ein Time-out bei den Selbstmordanschlägen würde die palästinensische Forderung nach einem Time-out im Siedlungsbau und bei der Landenteignung nachdrücklich unterstützen. Aber noch ist der ideologische Machtkampf innerhalb der Hamas nicht entschieden. Und solange sind auch die Äußerungen von Yassin vielseitig interpretierbar. Georg Baltissen
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