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Mit Arlene auf dem Frauenmarsch

Die 29jährige Afroamerikanerin demonstriert auf dem Marsch der Millionen Frauen für ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Seit dem Marsch der schwarzen Männer will sie sich nicht mehr mit Weißen einlassen  ■ Aus Philadelphia Peter Tautfest

Es ist die ultimative Umkehrung des Lieds von den zehn kleinen Negerlein: „Eine Million Frauen“, singt die Menge. „Und nur du und ich“, schwingt sich die Stimme der Sängerin auf dem Podium vor dem Museum in Philadelphia über den Singsang. „Eine Millionen Frauen“ – „Preiset Gott in uns!“ „Zwei Millionen Frauen!“ ruft die Sängerin, und die Menge stimmt ein.

40 Millionen schwarze Frauen gibt es in den USA. Wieviel davon im grau verhangenen Philadelphia am vergangenen Samstag zusammenkamen, ist wie immer in solchen Fällen umstritten, zwischen 300.000 und einer Million sagt die Polizei, zwei Millionen, sagen die Organisatorinnen.

„Drei Millionen Frauen...“ Ein paar dunkle Männerstimmen verleihen dem tausendstimmigen Basso continuo etwas Sonores. Auch ein paar Männer sind gekommen, nicht viele, denn die Internetseite hatte ausdrücklich hervorgehoben: „Dies ist eine Versammlung von Frauen afrikanischer Herkunft.“

„Setzen und entspannen Sie sich!“ hatte Arlene Miller in dem Ton gesagt, in dem man jemandem Mut zuspricht. So ähnlich hatte auch Dienne geredet, an die ich mich draußen auf dem Parkplatz des Armory Stadions gewandt hatte, wo 25 Busse zur Abfahrt von Washington nach Philadelphia bereitstanden: „Wenn Sie eine Karte haben, können Sie einsteigen, wo Sie wollen.“ Und dann war nur noch der Platz neben dieser jungen Frau mit den langen schwarzen Haaren frei. „Ich war etwas unsicher, ob ich hier mitfahren kann“, erklärte ich entschuldigend, „aber als ich gestern beim Organisationskomitee von ,Schwestern organisieren Schwestern‘ war, hat man mir gesagt, das beste wäre, ich führe mit, wenn ich so viele Fragen zum Million Woman March hätte. Wenn ich mich in einem Bus voller schwarzer Frauen unwohl fühle, liege das an mir und nicht an den Frauen.“ „Entspann dich!“ wiederholt Arlene. Eine ältere Frau lehnt sich von der anderen Gangseite herüber: „Daß Sie ein Mann sind, ist Ihr auffälligstes Merkmal, wir haben nichts gegen Männer, und daß Sie weiß sind, sieht man zu dieser Morgenstunde noch nicht.“ Die Frauen in Hörweite lachen.

Eigentlich hätten aus Washington und Umgebung 50 Busse abfahren sollen. Aber die Busgesellschaft TLC sagte kurzfristig die anderen 25 Busse ab. Die Sachbearbeiterin bei TLC wollte sich bei Nachfrage dazu nicht direkt äußern, aber wies auf einen Passus im Vertrag hin, daß gecharterte Busse 14 Tage vor Abfahrt bezahlt werden müssen. Die Organisation des Million Woman March vollzog sich anders als beim Million Men March vor zwei Jahren in Washington. Diesmal gab es keine prominenten Unterstützter, die beiden Frauen, Asia Coney und Philé Chionesu, die zu der Demonstration aufgerufen hatten, sind selbst in Philadelphia kaum bekannt. Sie bedienten sich nicht der für solche Großveranstaltungen üblichen Strategien wie Sponsoring und professioneller Public Relations, sondern vertrauten auf Spenden und Mundpropaganda.

Ob Arlene auch beim Million Man March war? Nein, sagt meine Nachbarin im Bus, eine Bürovorsteherin, leider nicht, sie wünschte heute, sie wäre hingegangen. Ihr jetziger Freund war da und hat sie ermutigt, nach Philadelphia zu fahren. Er hat sie heute früh um fünf zum Bus gebracht. „Schwarze Männer sind gar nicht so, wie sie in den Medien immer dargestellt werden, sie können sehr fürsorglich sein.“

Arlene ist zu jung, um sich an die Bürgerrechtsbewegung zu erinnern, sie wurde 1968 in Jamaika geboren und kam erst im Alter von elf mit den Eltern und vier Geschwistern nach Brooklyn, New York. Ihr Vater hat drei Jobs gleichzeitig gehabt, um die Familie durchbringen und die Kinder aufs College schicken zu können. Außer für die Verkehrsbetriebe hat er für eine Gebäudereinigungsfirma gearbeitet und am Wochenende Rasen gemäht. In Jamaika spielten zwar die Klassenunterschiede, nicht aber die Rassenunterschiede eine große Rolle, und so war Arlene völlig fassungslos, als sie in Brooklyn von ihren Klassenkameraden angespuckt wurde. „Ich dachte, ich wäre häßlich. Mein Vater hat es mir dann erklärt, und so habe ich erfahren, daß ich schwarz bin.“ Sie greift sich in die Haare und zieht sie lang. „Das ist mir davon geblieben. Weiße Amerikanerinnen sehen alle wie Barbiepuppen aus, ich wollte wenigstens lange, glatte Haare haben, wenn ich schon nicht weiß und blond war. Wenn das Glätten der Haare einen solchen Aufwand macht, hat mein Vater dazu gesagt, ist es die Sache nicht wert, aber er hat mich gelassen.“

Ob ich ein paar Kekse haben wolle oder etwas Wasser, fragt Arlene und erzählt weiter. Mit ihrem ehemaligen weißen Freund habe sie sich anfangs sehr gut verstanden, er sei offen und vorurteilslos gewesen, „aber sein Vater hat mich gehaßt, der kommt aus North Carolina“. Das spürte sie an der Art, wie er sie am Telefon behandelte. „Kalt und einsilbig. Und dann habe ich ihm mal gegenübergesessen. Er legte es mir als eine Bosheit aus, daß ich seinen Sohn liebte. Ich habe zu ihm gesagt: Wären Sie zufrieden, wenn ich Ihren Sohn hassen würde? Er hat mit einer Geste geantwortet, als wolle er fragen, wie ich es wagen könne, seinen Sohn zu lieben.“

Dann kam der Million Man March. „Dany wollte hingehen. Er sagte, wenn er eine schwarze Freundin und mit ihr vielleicht mal schwarze Kinder hat, müsse er sich um die Belange schwarzer Männer kümmern.“ Doch da fielen Arlene die Geschichten von schwarzen Kindern ein, die ihre weißen Väter hassen. Irgendwann nämlich erfahren sie, daß sie schwarz sind, und dann hassen sie dafür die Weißen und lassen das an ihren Vätern aus. „Da wurde mir klar, daß ich mit Dany nicht zusammensein könnte.“

Mit ihrem jetzigen Freund ist sie viel glücklicher, da schleicht sich nie der Verdacht ein, eine Mißstimmung könne mit dem Rassenunterschied zusammenhängen und seine Liebe könne Wiedergutmachung für weißen Rassismus sein. Ihr Traummann? Das sei einer, der aussieht wie O.J. Simpson (aber wirklich nur so aussieht), der die Prinzipienfestigkeit von Malcolm X, das Charisma von Martin Luther King und die Friedfertigkeit Gandhis hat.

Arlene glaubt manchmal, daß das mit den Rassen so ähnlich wie mit den Geschlechtern ist und mit dem Haß wie mit dem Verlieben: „Da werden die Menschen verletzbar, und manch einer empfindet das als bedrohlich und verschließt sich.“ Sie jedenfalls will sich nie wieder mit einem Weißen einlassen. „Wenn Sie nicht neben mir im Bus gesessen hätten, ich hätte niemals mit Ihnen so geredet.“

Perfekt war die Organisation des Frauenmarsches vielleicht nicht, aber bei der Ankunft in Philadelphia herrscht eine euphorische Stimmung. „Mit so vielen hatten wir gar nicht gerechnet“, klagt ein Polizist. „Wir schon“, entgegnet eine Frau. „Wir sind aus Cleveland. Die haben gedacht, weil der Marsch in den Medien kaum vorgekommen ist – die Medien sind in Männerhand –, kommen nicht so viele. Die Nachrichten kursierten im Internet, und die haben gedacht, Frauen können mit dem Internet nicht umgehen.“

Im Nieselregen sitzt auf der langen Straße zwischen City Hall und Kundgebungspodium Rosemary Matthews, eine ältere Dame, auf einem Stuhl, den sie mitgebracht hat. Sie war bei den Märschen Martin Luther Kings dabei. „Das war eine andere Zeit und eine andere Situation. Damals ging es um Rechte und Gesetze, jetzt geht es um die Feier des Frauseins. Wir haben alles erreicht und sind trotzdem nicht besser dran. Dies hier ist eine spirituelle Angelegenheit. Die Schwarzen müssen sich nach innen wenden und sich auf sich besinnen, es liegt jetzt alles viel stärker an uns selber.“

Auf dem Podium spricht gerade Ava Mohammed, eine schwarze Muslimpredigerin: „Schwarze Frau, du bist die Königin der Welt, die Mutter der Zivilisation.“ Der Beifall ist groß. „Wenn ihr durch die Korridore der politischen oder wirtschaftlichen Macht lauft und im Beruf Erfolg sucht, seid gewarnt vor allzu großer Intimität mit dem weißen Mann! Er wird eure Seele korrumpieren. Der Platz der schwarzen Frau und Weltenmutter ist die Familie, die sie heilen soll.“

Der Beifall ist frenetisch. Als ich die Umstehenden auf diese Aussage anspreche, will keine sie gehört oder so verstanden haben. Hier bekommt jeder Applaus, die „Hebrew Nation“, die das jüdische Glaubensbekenntnis im Rapperton hinausbrüllt: „Schamah Israel Adonai Eloheinu el Chad“, nicht anders als die „Nation of Islam“, die mit „Assalamu alaikum“ grüßt, worauf die Menge „Wa alaikum assalam!“ zurückschreit.

Auf der Rückfahrt hat sich Arlene einen anderen Platz gesucht. Ich hatte sie fragen wollen, was sie von dem Marsch für sich nach Hause bringt. Die anderen Frauen aus „meinem“ Bus, die während der siebenstündigen Veranstaltung immer darauf geachtet hatten, daß ich unter den Millionen schwarzer Frauen nicht verlorenging, antworten für sie: „Das Powergefühl“, „das Gefühl, daß wir als Frauen zusammenstehen können“, „viel Energie, um unser Leben anzupacken und unsere Familie in Ordnung zu bringen“. Beim Abschied umarmt mich Dienne, die Chefin dieses Busses, und sagt: „Danke, daß du gekommen bist!“

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