■ Die Bundeswehr ist kein Spiegelbild der Gesellschaft
: Bedingt rechtsradikal

Der Wunsch ist der Vater des Gedanken: Wenn heute in Bonn die Politiker der Altparteien reklamieren, die Bundeswehr sei ein Spiegelbild der Gesellschaft, und deshalb seien rechtsextreme Einstellungen in den Streitkräften nicht häufiger anzutreffen als im Durchschnitt der gesamten Bevölkerung, dann haben sie die Ebene der Empirie längst verlassen. Denn der „Bürger in Uniform“ – für die Verteidigungspolitiker die kleinste Einheit einer demokratisch legitimierten Armee im Land schlechthin – zieht es zunehmend vor, den Dienst an der Waffe zu verweigern. Bis zu 40 Prozent eines Jahrgangs der Wehrpflichtigen schieben lieber Dienst in Krankenhäusern, in Einrichtungen der Alten- oder Behindertenpflege oder im Bereich des Umweltschutzes.

Die Folge ist: Die Attraktivität der Bundeswehr steigt gerade unter den Jugendlichen, die mit mangelnder Ausbildung, Lehrstellenmisere und mit abnehmenden sozialen Bindungen konfrontiert sind. Das gilt für Ost wie West, aber doch mit einer deutlicheren Ausprägung im Osten. So findet die Bundeswehr überproportionalen Zulauf aus dem Kreis der Jugendlichen, der für Rechtsradikalismus und Ideologien der Ungleichheit anfällig ist. Das ist keine sensationelle Feststellung. Die Bundeswehr selbst hat bereits 1992 gewarnt, die Truppe werde zunehmend für jene attraktiv, die sich demokratischen Prinzipien „kaum oder gar nicht verbunden“ fühlen.

Was tun? Einsatz des Verfassungsschutzes, der alle Rekruten auf rechtslastige Haltungen hin durchleuchten soll? Kreiswehrersatzamt, übernehmen Sie? Ein neuer Radikalenerlaß wäre nicht hilfreich. Zumal kaum ein anderer Lebensbereich in der Gesellschaft so durchorganisiert, so reglementiert und kontrolliert ist wie die Bundeswehr.

Und doch gelingt es den Verantwortlichen nicht, Vorkommnisse wie das „Skandalvideo“ zu verhindern. Nicht ein Mehr an Gesinnungsschnüffelei scheint notwendig, sondern ein Mehr an demokratischer Bildungsarbeit – für Rekruten, aber auch für deren Vorgesetzte. Denn nicht nur das demokratische Bewußtsein eines Teils der Rekruten scheint defizitär zu sein, auch die vielbeschworene „innere Führung“ erscheint mangelhaft. Zumindest liegt diese Schlußfolgerung nahe, wenn derartige Delikte den Vorgesetzten entweder nicht bekannt werden oder schlimmer noch, von ihnen gar nicht als Skandal erkannt oder gar gedeckt werden? Es macht mißtrauisch, wenn das Wissen um solche „Übungen“ erst durch die Aussagen ehemaliger Soldaten bekannt wird. Antworten darauf wären hilfreicher als verquere Bonner Statistikvergleiche. Wolfgang Gast