: Solo ohne Publikum
■ Arbeitsgericht weist Klage des Musikers Gerd Reinke gegen Kündigung ab. Er hatte in Israel eine Rechnung mit "Adolf Hitler" unterschrieben
Berlin (taz) – Der Musiker Gerd Reinke träumte schon immer davon, im Rampenlicht zu stehen. Das ist ihm mit einem Auftritt am 31. Mai dieses Jahres gelungen. Doch nicht sein Können als Kontrabassist hat den 54jährigen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, sondern ein folgenreicher Fauxpas in Israel.
Der 56jährige hatte während eines Gastspiels der Deutschen Oper Berlin in Tel Aviv eine Hotelrechnung mit dem Schriftzug „Adolf Hitler“ versehen und dem verdutzten Kellner gesagt „Das ist ein Witz“. Entsetzte Reaktionen in Israel, Entschuldigungen der deutschen Botschaft sowie des Ensembles folgten. Die Oper sprach von einem „irreparablen Schaden“ für ihr Ansehen. Die Mitglieder des Orchesters distanzierten sich von ihrem Kollegen. Zwei Tage später wurde Reinke nach Berlin zurückgeschickt. In Abstimmung mit dem Berliner Senat kündigte ihm die Deutsche Oper fristlos.
Dagegen klagte der Musiker. Nachdem ein Gütetermin Anfang September gescheitert war, verhandelte gestern das Arbeitsgericht Berlin über die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung.
Siegessicher verkündete Reinke gegenüber der zahlreich vertretenen Presse vor Verhandlungsbeginn, daß er seinen Kontrabaß noch nicht verkauft hätte und daß er sich „soviel Aufmerksamkeit“ oft zu seinen Konzerten gewünscht hätte. Zwei Stunden später wies Richter Hans-Jörg Stein die Klage ab. Die Kündigung sei gerechtfertigt gewesen. Allein das Schreiben des Namens „Adolf Hitler“ und die Reaktionen, insbesondere der israelischen Öffentlichkeit, hätten eine Weiterbeschäftigung „unzumutbar“ gemacht, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Die Kündigung sei das einzige Mittel gewesen, „um die Wogen zu glätten“ und das Gastspiel in Israel fortzusetzen. Eine fristlose Kündigung sei für einen Witwer mit zwei Kindern nach über zwanzig Jahren Orchesterzugehörigkeit zwar „ein sehr starkes Mittel“, doch der Kläger habe „die Ursachen für alles selbst gesetzt“.
Ob Reinke Berufung einlegen wird, war gestern noch unklar. Sein Anwalt Peter Hantel räumte zwar ein, daß sein Mandant einen „Tabubruch“ begangen habe. Doch es könne nicht sein, daß eine „Aktion von wenigen Sekunden sein Leben versaut“. Die Haltung der Deutschen Oper bezeichnete Hantel als „hartherzig“. Reinke hatte immer wieder betont, daß er keine Erinnerung an den Abend in Tel Aviv habe. Nach zwei Bier und zwei Flaschen Wein habe er einen „totalen Blackout“ gehabt – Erinnerungslücken, die aber erst mit dem Wachsen des Skandals gekommen waren. Bei einem Telefonat mit der Operndirektion einen Tag nach dem Vorfall hatte Reinke aber noch bestätigt, den Namen „Adolf Hitler“ auf die Rechnung geschrieben und dies als „Witz“ bezeichnet zu haben.
Sein Anwalt hatte auf verminderte Schuldfähigkeit seines Mandanten gesetzt. Nach Darstellung der Deutschen Oper kann Reinke aber nur einen Alkoholgehalt von 1,5 Promille im Blut gehabt haben. Auch Richter Stein äußerte gestern „gewisse Zweifel“, daß die angegebene Alkoholmenge bei einem „gestandenen Mann“ zu einem „Filmriß“ führen könne.
Mittlerweile will niemand mehr mit dem Musiker zu tun haben. Reinke hat seine Lehraufträge verloren, geplante Auftritte bei anderen Orchestern wurden ihm gekündigt. Auch die Deutsche Orchestervereinigung hat ihn ausgeschlossen. Auf CDs, auf denen Reinke neben anderen Musikern zu hören ist, wurden seine Aufnahmen herausgeschnitten.
All diese Reaktionen und auch die gestrige Entscheidung des Gerichts stoßen bei Reinke nach wie vor auf Unverständnis. „Ich habe es doch nicht in der Öffentlichkeit gemacht“, verteidigte er auch gestern sein Verhalten. „Das war privat am Tresen und keine politische Angelegenheit.“
Gegenüber dem Spiegel hatte Reinke gesagt, daß er wieder öffentlich auftreten wolle. Er sei sicher, daß man ihn, wenn auch nur für einen Abend, in Brandenburg oder im Ausland engagieren werde. „Es gibt ja genug Leute, die das Monster einmal auf der Bühne sehen wollen.“
Reinke galt im Orchester als Sonderling. Bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit versuchte er, der Enge des Orchestergrabens zu entfliehen. Im Laufe der Jahre ist es ihm gelungen, sechs CDs in Miniauflagen selbst einzuspielen. Reinke hatte wenige Wochen vor dem Vorfall in Tel Aviv um Aufhebung seines Arbeitsvertrages gegen eine Abfindung in Höhe von drei Jahresgehältern ersucht. Dies war jedoch aus finanziellen Gründen abgelehnt worden.
Selbst wenn das Gericht gestern der Klage des Musikers entsprochen hätte, hätte sich die Frage einer Abfindung nicht gestellt. Dann hätte die Oper ihn wieder einstellen müssen. Doch im Orchester will keiner mehr mit Reinke spielen. Barbara Bollwahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen