: Die Sache mit den Eiern
■ Ökolabel im Supermarkt tragen zur Verwirrung der Kunden bei. Kooperation mit Anbauverbänden und eindeutige Kennzeichnung sollen Sicherheit beim Kauf schaffen
Die Sache mit den Eiern: Was heißt schon Boden- oder Freilandhaltung? Ratlos stehen bewußt Einkaufende vor dem Supermartkregal und überlegen, ob die Hühner wirklich artgerecht gehalten oder lediglich im Freien eingepfercht werden. Welches Produkt stammt wirklich von glücklichen Hühnern? Und wurden die Tiere medikamentös „behandelt“?
Öko ist in, und so stößt man in Supermärkten auf allerlei grünlich verpackte und beworbene Produkte. Daß noch lange nicht „Bio“ drin ist, wo es draufsteht, weiß dabei jeder. Was aber kaufen? Eine gewisse Sicherheit, zumindest im Sektor pflanzliche Erzeugnisse, gibt seit 1993 die EU-Biokennzeichnungsverordnung, nach der mindestens 95 Prozent der verwendeten Rohstoffe eines Lebensmittel „Bio“ sein müssen. Die EU- Kontrollnummer auf der Verpackung macht die Produkte unterscheidbar von jenen Angeboten, die nur auf der „grünen Welle“ mitschwimmen. Vielen Verbrauchern gehen die Vorschriften der EU-Verordnung allerdings nicht weit genug, denn sie sind weniger streng als die der anerkannten deutschen Anbauverbände des ökologischen Landbaus.
Wie das Bedürfnis nach ökologisch korrekten, biologisch erzeugten Lebensmitteln ist auch die Unsicherheit der Kundschaft den Supermarktbetreibern nicht verborgen geblieben. So gelangen zunehmend auch Produkte des Öko- Landbaus in die Regale und geben dem Verbraucher die Sicherheit kontrollierter Bio-Qualität nach leicht einsehbaren, teilweise von Verband zu Verband unterschiedlichen Kriterien. Mit dieser Garantie läßt sich werben. Reichelt beispielsweise schaltet mit seinen Angeboten von Demeter, Bioland und Naturland ganzseitige Anzeigen.
Die Biopalette sei ein „Fenster, das wir verstärkt im Sortiment haben, weil die Klientel wächst“, sagt Rainer Krämer, Ressortleiter für Qualitätssicherung bei Reichelt. Dabei habe man es keineswegs auf klassische Bioladenkunden abgesehen: „Wir wollen bestimmt keine kleineren Geschäfte zerstören – die tun uns auch gar nicht weh.“ Es sei vielmehr ein immer stärkeres Bewußtsein bei der Stammkundschaft festzustellen. Reichelt will nach Aussagen Krämers mit Produkten des ökologischen Landbaus auch behilflich sein, „die Brandenburger Bauern richtig auf die Beine zu bringen“. Diese lieferten heute, im Gegensatz zur Nachwendezeit, stets pünktlich.
Kaiser's führt schon seit Jahren Naturkind und hat neuerdings mit dieser Marke auch das Eierproblem gelöst. Das Sortiment wird derzeit ausgebaut und leichter zugänglich gemacht: Peu à peu werden im Zuge einer allgemeinen Umstrukturierung in den Berliner Kaiser's-Filialen Bioregale eingerichtet, in denen alle Produkte auf einen Griff zu haben sind, statt wie bisher im ganzen Markt verstreut zwischen den anderen Erzeugnissen der jeweiligen Warengruppe versteckt zu sein.
Der Supermarkt also als Bioladen der Zukunft? Eher nicht. Weitere Produkte des ökologischen Landbaus werden – mit Ausnahme von frischen Produkten, die bislang nur sporadisch feilgeboten werden – in absehbarer Zeit bei Kaiser's nicht zum Angebot zählen: „Wir wollen unseren Kunden darstellen: Das ist unsere Biomarke“, sagt Anette Nawroth, Umweltbeauftragte der Supermarktkette. „Wir betrachten das als eine Serviceleistung gegen die allgemeine Verwirrung.“ Anstelle eines breiten Angebotes für versierte und wählerische Biokonsumenten steht Handlungssicherheit für Normalverbraucher im Vordergrund.
Kenner, die es schätzen, nach speziellen, beispielsweise antroposophischen Kriterien aus einem breiten Sortiment zu wählen, werden ihren Bioläden treu bleiben. Zumal dort die Fachberatung über ein freudlos gebelltes „Dritter Gang links“ hinausgeht.
Trotzdem tut sich etwas in der Biobranche. „Gerade jetzt, wo die Supermärkte zum Angriff blasen, sollte es kein Erstarrren in alten Formen geben“, meint Matthias Becker, Kenner der Szene und derzeit in Diensten der Bioladenkette Speisekammer, die in Berlin vier Filialen betreibt. Hier wird günstigen Preisen gegenüber üppigem Service der Vorrang gegeben. „Die Kaufkraft ist einfach nicht mehr so hoch wie vor fünf Jahren“, meint Becker. Auch in der Ökobranche heiße es „Kosten reduzieren und über die Runden kommen“. Amerikanische Verhältnisse mit großen, somit konkurrenzfähigeren Bio-„Supermärkten“ hält Becker für möglich: „Da habe ich keine Berührungsängste.“
Gehört die Zukunft also statt dem Supermarkt als Bioladen also dem Bioladen als Discounter? Für einen Teil der gut informierten, bewußt konsumierenden Klientel mag das zutreffen. Andere werden ihren guten alten Bioladen nicht missen wollen. „Da steht schließlich auch ein sozialer Aspekt dahinter“, meint nicht nur Becker. Denn zweifelsohne ist der Bioladen der legitime Nachfolger des behaglichen Tante-Emma-Ladens. Holger Wicht
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