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Sekte Colonia Dignidad unterliegt gegen amnesty

■ Urteil des Bonner Landgerichts: Nach 20 Jahren darf amnesty international wieder sagen, daß in der deutschen Colonia Dignidad in Chile gefoltert wurde. Die Kläger wollen in die Berufung

Bonn/Berlin (AP/taz) – Die deutsche Sekte Colonia Dignidad in Chile ist im 20jährigen Rechtsstreit gegen die Menschenrechtsorganisation amnesty international vorerst unterlegen. Das Landgericht Bonn wies gestern eine Klage als unzulässig ab, mit der amnesty untersagt werden sollte, eine Broschüre über die als Folterlager verdächtigte Kolonie zu verbreiten. Das war ai 1977 durch eine einstweilige Anordnung verboten worden, seither dümpelte der Prozeß vor sich hin. Das Gericht begründete seine Entscheidung nunmehr damit, daß es sowohl die Colonia Dignidad als auch ihre Trägervereine rechtlich nicht mehr gebe.

Im Streit gegen amnesty vor der dritten Zivilkammer des Landgerichts Bonn ging es darum, daß die Menschenrechtsorganisation ihre Broschüre „Colonia Dignidad – Deutsches Mustergut in Chile – Ein Folterlager der DINA“ nicht verbreiten sollte. Darin wurde unter Berufung auf die Aussagen ehemaliger politischer Gefangener der Vorwurf erhoben, daß die Colonia dem – inzwischen aufgelösten – Geheimdienst DINA als verborgenes Folterzentrum gedient habe. In den Folgejahren legte ai für diese Behauptung zahlreiche Beweise vor, und 1988 kam es gar zum Ortstermin – eine chilenische Richterin mußte innerhalb der Colonia den Fragen des Bonner Landgerichts nachgehen und fand viele Details bestätigt. Dennoch kam der Prozeß nicht voran.

Der Rechtsstreit wurde seit 1977 vom chilenischen Trägerkreis der Colonia Dignidad und dem Verein „Private Sociale Mission“ in Siegburg geführt. Das Gericht erklärte in der Urteilsbegründung, beide Klägerinnen hätten ihre Rechtsfähigkeit verloren.

Deren Rechtsanwalt Klassen sieht das ganz anders. Er erinnerte nach der Urteilsverkündung daran, daß das in Chile erlassene Dekret zur Auflösung der Colonia Dignidad noch nicht rechtskräftig sei. Klassen wies darauf hin, daß sich das deutsche Gericht mit der Abweisung der Klage nicht zum Inhalt des Streits geäußert habe.

Der Generalsekretär der deutschen Sektion von amnesty, Volkmar Deile, begrüßte das Urteil als „späten, aber teuren Sieg der Wahrheit“. Nachdem auch ai sich in den letzten Jahren nur noch wenig um den Fortgang des Verfahrens gekümmert hatte, war die Organisation in den vergangenen zwölf Monaten wieder aktiver geworden, nachdem in Chile neue Vorwürfe bekannt und ein Haftbefehl wegen Kindesmißbrauchs gegen den Sektenchef Paul Schäfer erhoben worden waren.

Auch in Deutschland sind mehrere Verfahren gegen Paul Schäfer und den Vizechef der Colonia Dignidad, den Arzt Helmut Hopp, anhängig. Die Staatsanwaltschaft Bonn allerdings sah sich bislang außerstande, die Ermittlungen von sich aus voranzutreiben – das überlasse man voller Vertrauen der chilenischen Justiz, hieß es stets im Justizministerium. Erst vor wenigen Wochen beantragte die Staatsanwaltschaft wenigstens Akteneinsicht bei den chilenischen Behörden – und wurde abgewiesen. pkt

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