: Weiberkrawalle mit Katzenmusik
Die Revolution von 1848 begann bereits 1847 mit „Brotkrawallen“: Hunger trieb die Frauen auf die Straße. 150 Jahre später hat die offizielle Gedenkmaschinerie den Anteil der Frauen fast vergessen ■ Von Ulrike Baureithel
An die 560 Veranstaltungen verzeichnet der „Revolutionsalmanach“, den das Badische Landesmuseum als Wegweiser durch die Gedenkfeierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Revolution von 1848/49 im Südwesten herausgegeben hat. Frauen wird man darin wenig finden. Die Verantwortlichen für die geplanten Ausstellungen (siehe „Tips und Trends“), so war auf einer Tagung des Vereins „Frauen & Geschichte Baden- Württemberg“ in Bad Urach kürzlich zu erfahren, tun sich schwer mit der Rolle der Frauen in der Revolution. Während man in der Frankfurter Ausstellung einen integrativen Ansatz verfolgt und Frauen in jedem Bereich sichtbar machen will, widmet man ihnen in Karlsruhe ein „besonderes“ Kabinett, in dem dem Vernehmen nach Kochlöffel, Stickrahmen und Hauben zu entdecken sein werden.
Nun hat sich die Historikerzunft bislang tatsächlich wenig um das Wechselverhältnis von Revolution und Geschlechterverhältnis gekümmert, doch wir verdanken Forscherinnen wie Carola Lipp und vielen anderen eindrückliche Beispiele dafür, auf welche Weise Frauen 1848/49 in Erscheinung traten und wie sich ihr Protest von männlichen Politikformen unterschied.
Es waren Hunger und soziale Unsicherheit, die die Frauen ab 1847 auf die Straßen trieben und zu sozialen Unruhen wie in Stuttgart führten. Dort rotteten sich am 3. Mai 1847 rund hundert Leute, darunter viele Frauen, vor dem Haus des Bäckers Mayer zusammen, weil er kein Brot gebacken und das Mehl aus Spekulationsgründen zurückgehalten hatte. Die „Katzenmusik“ – Schimpfen, Pfeifen, Johlen –, die sie ihm zu Gehör brachten, sollte den Bäcker in Verruf bringen. Schließlich setzte König Wilhelm I. Militär ein, um den Aufruhr des „Pöbels“ zu beenden.
Der sogenannte „Stuttgarter Brotkrawall“, den Sabine Kienitz aus den zeitgenössischen Dokumenten rekonstruierte, war kein Einzelfall im Südwesten. Hintergrund der sozialen Unruhen waren Mißernten und Versorgungsengpässe in den Städten, die für viele Frauen um so gravierender waren, weil sie sich mit ihren unehelichen Kindern – die Obrigkeit erließ in dieser Zeit rigide Heiratsbeschränkungen – allein durchbringen mußten. Das Handwerk war überfüllt, weil mit der Bauernbefreiung immer mehr Menschen in die Städte drängten.
Charakteristisch für die „Weiberkrawalle“, die von Frauen der unteren Schichten getragen wurden und die gesamte Revolutionszeit begleiteten, waren ihre Spontaneität. „Spektakel“ – lautstarke Umzüge und Schimpftiraden – empfanden die Frauen als legitime Ausdrucksform ihres Protests. Erst wenn die Auftritte gewaltsam eskalierten, zogen sie sich aus den Auseinandersetzungen zurück.
In Abgrenzung dazu lehnten sich die Frauen aus den bürgerlichen Schichten an männliche Politikformen an. Nach der Aufhebung der Assoziationsbeschränkungen gründeten sie ab 1848 überall im Land Frauenvereine, um die nationale Sache – Reichseinigung und Verfassung – zu unterstützen. Im April 1848 beschwerten sich mehrere Konstanzer Frauen über ihren Ausschluß aus einer Männerversammlung mit der Begründung: Auf den Geist der Frauen komme es an, „ob manche Männer die Waffen ergreifen und freudig ausziehen für's Vaterland“.
Nur in selteneren Fällen fordern die Frauen explizite Rechte für sich selbst, wie im badischen Ettenheim: „Freiheit, Wohlstand, Bildung für alle“, stand auf der roten Fahne der 30 Mitgliedsfrauen. Für das erste Ettenheimer Aufgebot nähten sie Blusen und schickten Verbandszeug in die von Rebellen gehaltene Festung Rastatt. Anna Stehlin wurde für diese „Teilnahme am Hochverrat“ vom Freiburger Hofgericht zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt.
Wo sich einzelne Frauen den Freischärlern anschlossen, wie Mathilde Franziska Anneke, hoch zu Roß als Ordonnanz, Amalie Struve oder „Madame Blenker“, die Gattin eines Insurgentenkommandeurs, wurden sie (nicht nur) von Männern und politischen Gegnern als Dirnen, Amazonen oder Megären denunziert. Daß diese „Ausnahmefrauen“, die sichtbar aus ihren weiblichen Rollen ausbrachen, lange Zeit die Phantasie vieler Historikerinnen beflügelten, mag kaum verwundern.
Mittlerweile liegt jedoch ein ansehnlicher Forschungsbestand vor, der viele Facetten der weiblichen Teilnahme an der Revolution beleuchtet. Statt ihn zwischen Buchrücken verstauben zu lassen, sollte man ihn in den anstehenden Ausstellungen faßbar, anfaßbar machen.s
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