„Leute ohne jegliche politische Sensibilität“

■ Oberst Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehr-Verbandes, über die Einladung des Rechtsterroristen Roeder durch die Hamburger Führungsakademie. Weitere Vorfälle sind möglich

taz: Wie bewerten Sie die Tatsache, daß der Rechtsextremist Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr einen Vortrag zum Thema „Übersiedlung von Rußlanddeutschen in den Raum Königsberg“ gehalten hat?

Bernhard Gertz: Der Vorgang hat sicherlich für das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit eine wesentlich größere Bedeutung als die Vorfälle von Schneeberg, wo ein Gewaltvideo gedreht worden ist.

Leute, die es für richtig gehalten haben, über ein solches Thema einen Vortrag halten zu lassen, sind ohne jegliche politische Sensibilität gewesen. Sonst hätten sie wissen müssen, daß dies ein Thema ist, mit dem sich vorwiegend Nationalkonservative beschäftigen – um es vorsichtig zu formulieren.

Wenn man daher an ein solches Thema denkt oder es angeboten bekommt, dann muß man sein Gehirn einschalten und genau nachprüfen, wer denn da kommen soll und wes Geistes Kind der ist.

Was wäre denn aus Ihrer Sicht schlimmer: Wenn niemand wußte, wer Manfred Roeder eigentlich ist, oder wenn er ganz bewußt für diesen Vortrag an der Führungsakademie in Hamburg ausgewählt wurde?

Wenn an einer herausgehobenen Bildungseinrichtung der Bundeswehr verantwortliche Offiziere nicht wissen, wer Herr Roeder ist, dann ist das genauso schlimm, als wenn sie ihn in Kenntnis seines rechtsradikalen Hintergrundes eingeladen haben. Der Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) hat die Untersuchung rechtsextremistischer Vorfälle bei der Bundeswehr in der jüngsten Vergangenheit im allgemeinen schnell weiterdelegiert. Steht er dieses Mal nicht eindeutig in der politischen Verantwortung?

Verteidigungsminister Volker Rühe hat sich in der Vergangenheit der politischen Verantwortung durchaus gestellt und sich zu dem Thema auch mehrfach dezidiert geäußert. Er wird das auch im Zusammenhang mit diesem Fall in besonderer Weise tun müssen.

Aber drängt sich nicht der Eindruck auf, daß Rühe seinen Laden nicht im Griff hat?

Eine Organisation wie die Bundeswehr mit 340.000 Soldaten und knapp 140.000 zivilen Mitarbeitern kann von niemandem, auch nicht von dem politisch Verantwortlichen, in jeder Lebenslage so perfekt im Griff gehalten werden, daß man solche Dinge von vornherein ausschließen kann.

Aber wir sprechen hier doch nicht von irgendeinem Soldaten, sondern von der Ausbildungsstätte für die Führungsebene der Streitkräfte.

Sicher ist der Minister, wenn es um Vorgänge in der Führungsakademie geht, in besonderer Weise gefordert. Trotzdem kann kein Verteidigungsminister jederzeit vollständige Kenntnis darüber haben, was an Bildungs- und Ausbildungsstätten läuft. Damit wäre er überfordert.

Fürchten Sie denn, daß nun noch mehr ans Tageslicht kommen wird, oder halten Sie den Vorgang für einen isolierten Einzelfall?

Nach dem, was wir im Moment erleben, kann ich nicht sicher sein, daß es nicht noch weitere Vorfälle ähnlicher Art gibt, mit denen wir demnächst überrascht werden.

Was muß nach dem jüngsten Vorfall in Hamburg denn nun geschehen?

Zum Rechtsextremismus insgesamt wäre vieles zu sagen. Im konkreten Fall muß die Frage gestellt werden, warum ein solches Thema wie das des Vortrages auf die Tagesordnung gesetzt wurde, nicht nur, warum man einen bekannten Rechtsextremisten damit betraut hat. Es muß nicht nur geklärt werden, ob der Chef des Akademiestabes wußte, was er tat, sondern darüber hinaus, ob alle Zuhörer wirklich keine Ahnung hatten, wer da vor ihnen stand. Außerdem muß sichergestellt werden, daß sich an keiner Ausbildungseinrichtung der Bundeswehr ein solches Ereignis wiederholt. Interview: Bettina Gaus