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„Eine Möglichkeit, mich auszuprobieren“

14 Hamburger Senatorinnen erzählen, wie sie zur Politik gekommen sind  ■ Von Ilonka Boltze

Geschichtsschreibung einmal anders: Statt die Restauration von Stuck und Fassade zu feiern, zelebrierten die Hamburger Senatorinnen am Montag abend ihre eigene Historie. Präsentiert wurden die Portraits von vierzehn Senatorinnen, die die Hamburger Künstlerin Ute Reichel in Bild und Text festgehalten hat. Leicht fiel der Einzug in den Senat den Frauen nicht: Er gleicht eher einem „zähen und mühsamen Prozeß“, meint Alterspräsidentin Eleonore Rudolph. Noch vor einem Jahrhundert beschränkte sich die Beteiligung der Frauen im Rathaus darauf, die Wände mit Teppichen zu behängen. Heute können die Frauen mit sechs Senatorinnen immerhin froh die quotenmäßige Gleichstellung im rot-grünen Senat feiern.

Die Wege der 14 Frauen in die Politik sind selten direkt. Für die heute 100jährige Paula Karpinski, in den 40er und 50er Jahren Senatorin für Jugend, waren es vor allem die Kriegserlebnisse, die sie zur Politik brachten. Mit 16 tritt sie der SPD bei, im zweiten Weltkrieg muß sie ihre Überzeugung mit Haft und KZ bezahlen. Heute sagt sie: „Ich habe nach der Nazizeit überhaupt nicht daran gedacht, Senatorin zu werden. Ich hatte ja kein Abitur.“1946 bittet sie der damalige Präsident der Hamburger Bürgerschaft, Adolph Schönfelder, „Senator“zu werden. Und sie wird es.

Irma Keilhack, die in den 60er Jahren unter anderem als Jugendsenatorin in den Senat einzog, hatte weder Abitur noch Studium, versuchte neben der Politik ihr Kind großzuziehen. Sie schildert ihren Einstieg in die Politik aus der Not der Verhältnisse heraus: „Überall fehlte jemand. Ich wurde Deputierte der Jugendbehörde und kam in den Vorstand der Gaswerke. Gas und Heizung, damit lebte oder starb Hamburgs Bevölkerung in diesem wahnsinnigen Winter 1946/47.“

Wenig später kandidierte Keilhack für den ersten Bundestag. Auch Traute Müller (Frauen und Stadtentwicklung) und Rosemarie Raab (Schule) hatten nicht geplant, einmal im Hamburger Senat zu sitzen. Raab führte die Stadtteilarbeit zur Politik. Als Buchhändlerin läßt Müller sich von der 68er Studentenbewegung begeistern und zur politischen Laufbahn anstecken. „Für mich war das eine Möglichkeit, mich auzuprobieren, präsent zu sein.“

Die Domäne der Frauen bleibt in der Politik das Soziale, egal, ob sie in den fünfziger oder siebziger Jahre zur Senatorin gekürt werden. Rosemarie Raab, Helgrit Fischer-Menzel, Helga Schuchardt und Christina Weiss setzen diese Tradition in den 90ern fort. Einzig Lore Maria Peschel-Gutzeit und Ingrid Nümann-Seidewinkel wagen sich in die „harten“Ressorts Justiz und Finanzen vor. Ob mit dieser Besetzung tatsächlich, wie Rudolph es formuliert, „Zeichen für die Andersartigkeit des weiblichen Regierens“gesetzt werden, bleibt abzuwarten.

Ute Reichel: Hamburgs Senatorinnen. Gespräche beim Zeichnen. Hamburg 1997, 49,80 Mark

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