: "Man fragt sich: Was soll das alles?"
■ Helmut Baumann, Intendant des Theaters des Westens und seit Jahren einer der profiliertesten Macher der deutschen Musical-Szene, im taz-Gespräch über die Situation an seinem Haus, über Stilfragen der
Wenn es nach Plänen der Berliner Kulturverwaltung geht, dann wird der Etat des Theaters des Westens, der momentan noch 23 Millionen Mark beträgt, ab 1999 um 10 Millionen Mark gekürzt. Für den Fall, daß die drastischen Einsparungen tatsächlich in dem Umfang realisiert werden, hat Intendant Helmut Baumann angekündigt, zum Ablauf seines Vertrages am 31. Juli 1998 zu kündigen und das Haus an der Kantstraße zu verlassen.
taz: Wie stehen die Chancen, daß es am Theater des Westens auch 1999 noch den Intendanten Helmut Baumann gibt?
Helmut Baumann: Ach, das ist schwer einzuschätzen. Im Moment gibt es einen unendlichen Stillstand in den Verhandlungen. Es wird uns Mut gemacht, Kultursenator Radunski hat versprochen, daß er bis zum Februar ein Konzept vorlegt, wie er sich die Finanzierung dieses Hauses vorstellt. Ich glaube, es ist allen klargeworden, daß wir mit zehn Millionen weniger einfach nicht so weitermachen können. Es würde bedeuten, daß man wirklich einschneidende Maßnahmen ergreifen müßte. Und wann die dann greifen, ist auch noch die Frage, es gibt ja Tarife, Kündigungsfristen. Dazu gehörte dann auch ein neues, schlankeres Programm für dieses Haus. Ich stehe nicht zur Verfügung für irgendwelche Kleinrechnereien und Abwickelarbeiten. Ich will das Haus nach 14 Jahren so weiterführen, wie ich es bislang getan habe – natürlich mit Einsparungen und Strukturveränderungen. Ich kann nur hoffen, daß sich Einsicht einstellen und das Haus weiterleben wird.
Hat man im Kultursenat Ihre Befürchtungen wie auch Ihre Ernsthaftigkeit in Sachen Rücktritt begriffen?
Ich denke schon. Auch, daß man sich bemühen und Überzeugungsarbeit leisten muß. Leider ist es ja meistens die SPD, die da total taube Ohren hat, die einfach sagt: „Da muß gespart werden, uns doch egal, wie ihr das macht. Wir haben das so beschlossen, dann hat das so zu passieren.“ Die Gebrauchsanweisung, wie das bewerkstelligt werden soll, wird allerdings nicht mitgeliefert.
Als Sie ankündigten, Ihren Intendantenposten im Fall der Etatkürzungen aufzugeben, gab es eine lange, peinliche Funkstille von seiten des Kultursenators. Fühlen Sie da Ihre Leistungen für die Stadt, fürs Theater des Westens und das deutsche Musical geringgeschätzt?
Ich enthalte mich da jeden Kommentars. Es wird einfach reingeschlagen. Es ist geradezu ignorant, wie man mit Leuten in der Stadt umgeht. Auch mit mir.
Da schwingt sehr viel Frust mit.
Es ist idiotisch, sich nach 14 Jahren so behandeln zu lassen. Ich spreche klare Worte und kriege keine klaren Antworten. Man fragt sich: Was soll das alles? Ich bin auch ein Sportsmann und habe 'ne Menge erlebt. Ich habe ja auch schon einen rot-grünen Kultursenat überstanden. Ich erwarte schon lange nicht mehr, daß hier in der Stadt jemand mit Stil agiert.
Wie denken Sie inzwischen über das Modell, das Theater des Westens und das Metropol-Theater zusammenzulegen?
Dazu kann ich mich im Grunde noch gar nicht äußern, weil ich zunächst mal wissen müßte, wie das gedacht ist. Man kann nicht einfach sagen: „Die beiden Häuser werden fusioniert und eine Leitung wird darübergesetzt.“ Dann hat man Äpfel mit Birnen zusammengemanscht, und es gibt Chaos.
Das Musical in Deutschland sei in der Krise, heißt es allerorten, ob „Gaudi“, „Gambler“, „Tommy“ oder „Space Dreams“ – bei den kommerziellen Musicalhäusern wird fast nirgendwo mehr gejubelt. Betrifft diese Grundsituation auch das Theater des Westens?
Das Theater des Westens, wie es bis jetzt geführt wurde und wie es seinen Auftrag versteht, berührt diese Entwicklung wenig. Es ist wahr, daß die Boomzeiten vorbei sind und die Goldgräberstimmung abflaut. Wir haben die Pleiten ja auch in der Stadt. Ein Typ wie Peter Schwenkow ist nun wirklich gewieft und hat die Nase immer weit vorn im Wind. Der gibt das Schiller Theater natürlich ganz schnell wieder aus der Hand wie eine heiße Kartoffel. Es ist nicht so, daß das kommerzielle Musical total sterben wird. Gewisse Versuche allerdings, die nicht genügend Boden unter den Füßen haben, die werden scheitern. Das leichtverdauliche Kommerzmusical als Erlebnis- Tourismus wird auch weiterhin in Deutschland in gemilderter Form weiterexistieren.
Als Schwenkow seine Musical- Träume am Schiller Theater aufgeben mußte, gab es da ein wenig Schadenfreude bei Ihnen?
Dazu bin ich zu abgebrüht! Was glauben Sie, wie oft man mir und diesem Haus den Tod vorausgesagt hat! Ich bin da leidenschaftslos.
Silvester 1999 will die Stella GmbH am Potsdamer Platz ihr neues Musicalhaus eröffnen. Wird dies für Sie eine spürbare Konkurrenz sein?
Ein Jahr lang bestimmt. Wenn sie tatsächlich Disney's „König der Löwen“ machen, werden da alle hinrennen, auch unser Publikum. Dann aber haben das alle Berliner gesehen, und die Touristen müssen das Theater füllen. Von denen können wir dann allerdings profitieren. Wenn Musicalfans in die Stadt kommen, gehen sie an einem Wochenende auch gern mal in zwei verschiedene Produktionen.
Der Broadway befindet sich ebenfalls in der Krise. Nicht zuletzt deshalb werden dort verstärkt Klassiker neu inszeniert. Wie muß denn Ihrer Ansicht nach das Musical für das nächste Jahrtausend aussehen, damit es überlebensfähig ist? Die Zeiten von Andrew Lloyd Webber sind ja nun endgültig vorbei.
Das ist allerdings wahr. In New York ist momentan eine sehr spannende Saison. Es gibt einerseits das phantastisch hochkommerzielle Spektakel „The Lion King“, aber auch die ambitioniert hochgestochenene „Titanic“, was so gar nicht zum Mitklatschen ist. Die künstlerischen Tendenzen gehen grundsätzlich doch wieder mehr in die Richtung Inhalte und zu ein bißchen anspruchsvollerer Musik. Es wird wieder dazu kommen, daß man richtige Geschichten erzählt und Menschen auf die Bühne stellt, die Schicksale durchleben.
Wenn Sie für Ihr Haus Produktionen wünschen dürften, ohne über personelle wie finanzielle Machbarkeit nachdenken zu müssen, welche Träume würden Sie sich erfüllen?
Einen Wunsch erfülle ich mir gerade, nämlich wieder ein Musical ganz und gar hier am Haus zu entwickeln, das Stück „30² 60² 90² – Durchgehend geöffnet“ über die aktuelle Lebenssituation in dieser Stadt. Das macht 'ne Menge Spaß und ist natürlich ein großes Risiko. Aber wir arbeiten mit großer Zuversicht an diesem Projekt. Ich wünsche mir auch, daß es uns gelänge, ein Theater zu werden, das mehr und mehr neue Kreationen macht. Wir haben mit großem Erfolg diese Art von Zeitgeist-Revuen aufgelegt, wie die „Let's Pop“ oder „Ufa-Revue“, wo man sich natürlich immer auf die nostalgischen Aspekte stützt und auf Songs, die alle mitsingen können. Ich wünsche mir aber, daß wir jedes Jahr mindestens zwei richtige Uraufführungen am Hause hätten, um unsere Art des unterhaltenden Musiktheaters weiter nach vorn zu bringen. Im Kleinen passiert dies an der Neuköllner Oper ganz beispielhaft. Das müßte auch im großen Stil gelingen, ohne gleich nach einem Flop den Mut zu verlieren.
Wie innovativ kann ein so großes Haus wie das Theater des Westens eigentlich sein? Wieviel Risiko ist möglich? „Der blaue Engel“ etwa oder auch „Johnny Johnsson“ waren zwar sehr ambitioniert, aber dennoch Flops, was die Publikumsresonanz betrifft.
Sie sagten ja, ich soll mir was wünschen?! (lacht) Wünschen kann man sich doch viel! Nämlich, daß die Brücke funktioniert: zwischen dem Neuen und vielleicht nicht so Abgegessenen und den Publikumserwartungen. Ich hoffe das sehr. Wir gehen in ein neues Jahrtausend. Diese Stagnation, die auch im geistigen Bereich derzeit vorhanden ist, wird sich ändern. Da bin ich mir sicher. Schon aus empirischen Gründen muß es etwas Neues geben. Da setz ich mal drauf.
Gesetzt den Fall, Sie werden sich mit dem Kultursenator über die Finanzierung des Hauses doch nicht mehr einig, wäre da folgendes Szenario denkbar: Sie zusammen mit Ihrem Lebensgefährten im Jahr 1999 zurückgezogen auf dem Ruhesitz lebend?
Berlin ist nicht der Nabel der Welt, auch wenn es sich immer dafür hält. Es ist manchmal ziemlich ungemütlich hier, und es gibt wirklich schönere Orte auf der Welt. Und es gibt viel für mich zu tun. Ich würde allerdings nie die Klinke hier in die Hand nehmen, gehen und in die Pension entschwinden. Ich habe viele Berufe, und zur Zeit komme ich zu fast keinem, außer diesen Schreibtisch hier zu verwalten. Interview: Axel Schock
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen