: Wenn Männer schwanger werden wollen
Von wegen Penisneid: Sublimierter Mutterschaftsneid ist die Triebfeder der Kultur und nötigt Männer zu Kopfgeburten und Bauchbinden. Über die Ausstellung „Sie und Er – Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich“ in der Kölner Kunsthalle ■ Von Gerlinde Volland
Das männliche Model mit dem Künstlernamen Sly war nicht da. Und das, obwohl samstags und sonntags zwischen elf und 17 Uhr seine Anwesenheit angekündigt war. Er sollte eigentlich unbekleidet in seinem Glaskasten sitzen und ein Penisfutteral vorführen. Ein Futteral, wie es manche Ethnien in Neuguinea oder in Afrika tragen, um ihre männliche Potenz symbolisch zu demonstrieren. Sly, das Model in der Vitrine, erinnert an die „Wilden“, die im 19. Jahrhundert in ganz Europa wie Tiere im Käfig zur Schau gestellt wurden.
Aber man muß gar nicht erst in die Ferne schweifen, um die Betonung der Männlichkeit durch Kleidung als Kuriosum der Mode anzutreffen. Im 16. Jahrhundert wurde auch in Europa durch die sogenannte Schamkapsel eine permanente Erektion vorgetäuscht. Solche und ähnliche Kleinodien zur Hervorhebung der Maskulinität ihres Trägers finden sich in der Ausstellung über Frauenmacht und Männerherrschaft, die vom Rautenstrauch-Joest-Museum ausgerichtet wurde und derzeit in Kön zu sehen ist.
Die Leiterin des Museums, Gisela Völger, hatte schon 1985 mit der Ausstellung „Die Braut“ und 1990 mit „Männerbünde – Männerbande“ die jeweiligen Geschlechtsrollen in verschiedenen Kulturen vergleichend betrachtet und damit für gehöriges Aufsehen gesorgt. Auch dieser letzte Teil der Trilogie ist sehr ambitioniert und wird durch zwei umfangreiche Begleitbände mit Beiträgen von 95 AutorInnen von allen Seiten beleuchtet.
Nicht phallische Sexualität, sondern sublimierter Mutterschaftsneid sei die Triebfeder abendländischer Kultur, so die These der AusstellungsmacherInnen, die sie unter Berufung auf die Psychoanalytikerin Karen Horney (1926) vortragen. Dies wird untermauert durch Objekte wie Leibmasken der Yoruba in Nigeria, mittels derer die Männer den Bauch einer Schwangeren vortäuschen. Androgyne Götter- oder Geisterbilder, plastische Figuren mit weiblichen Brüsten und Phallus, werden als Indiz gedeutet, daß Männer sich weibliche Fruchtbarkeit aneigenen wollen. Dafür sprechen auch die Mythen von männlichen Kopfgeburten, wonach Zeus etwa Athene aus seinem Schädel hervorbrachte, als dieser von Hephaistos gespalten wurde.
Christus und die behaarten Heiligen
Aber auch das Christentum kann mit männlichen Geburten aufwarten: Auf mittelalterlichen Darstellungen der Schöpfungsgeschichte wird Eva aus Adams Leib hervorgebracht wie durch einen Kaiserschnitt. Und Gottvater scheut sich nicht, als Geburtshelfer tätig zu werden.
Initiationsriten verschiedener Ethnien versinnbildlichen die soziale Geburt durch die Gemeinschaft der Männer. Wenn diese Riten blutig sind, was häufig der Fall ist, soll der Initiant vom „unreinen“ Blut der Mutter gereinigt werden. Durch den Schmerz wird sein mütterliches Blut durch das des männlichen Helden ersetzt. Jagen und Kriegführen wird von nun an sein Handwerk, Töten sein Beruf. „Diese Formen des willentlichen Blutvergießens werden oft ideologisch überhöht. Das beim Tötungsakt fließende Blut ist „rein“, und es kann sogar „heilig“ werden, so beim Tier- oder Menschenopfer, das den Göttern dargebracht wird“, schreibt Völger in einem Kurzführer zur Ausstellung.
Ihre Theorie ist nicht dem Biologismus verpflichtet, wie man vielleicht vermuten könnte. Im Gegenteil, die AusstellungsmacherInnen grenzen sich deutlich davon ab und betonen die kulturelle und gesellschaftliche Bedingtheit geschlechtsspezifischer Setzungen und Wertungen. Mögen diese auch auf „natürlichen“ Gegebenheiten wie der Geburt oder der Erektion basieren, so zeigt die Ausstellung doch deutlich, wie sehr die Biologie der Geschlechter kulturell genormt, überformt und mit symbolischen Inhalten gefüllt wird. Aber nicht nur religionsgeschichtliche, mythologische Themen der verschiedensten Symbolsysteme werden aufgegriffen, sondern auch soziologische Fragen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Erziehung.
Die thematischen Abschnitte sind im Großen und Ganzen einleuchtend und übersichtlich angelegt, nur an wenigen Stellen bleiben Unklarheiten: Warum zum Beispiel wurde den Themen „Androgynie“ und „Das dritte Geschlecht“ zwei verschiedene Abteilungen gewidmet? Während die androgynen Wesen, Gottheiten und Ahnenfiguren eher den mythologischen Aspekt problematisieren, soll „Das dritte Geschlecht“ eher reale Transsexualität und Travestie darstellen. Doch warum werden dann hier Christus mit seiner vulvaähnlichen Wunde oder die behaarten Heiligen und wilden Frauen des Mittelalters angeführt, die ebenfalls eine spirituelle Komponente haben?
Blut und Reinheit, Schuld und Sühne
An solchen Stellen zeigt sich, daß es schwierig ist, alle Objekte stimmig in eine kohärente Theorie einzubauen. Und weiter könnte man fragen: Wird wirklich das weibliche Blut immer als unrein betrachtet, oder können ihm auch heilende, fruchtbarkeitsspendende Wirkungen zugeschrieben werden? Wird tatsächlich das durch Männer vergossene Blut stets als rein und heilig betrachtet? Warum dann die umfangreichen Reinigungsrituale in Wildbeutergesellschaften vor oder nach jeder Jagd? Sprechen sie nicht eher von einem Schuldempfinden gegenüber der lebendigen Natur und von der Notwendigkeit, solche Schuld zu sühnen, indem Opfer gebracht werden?
Der Versuch, etwas so Komplexes wie die Geschlechterbeziehungen rund um den Erdball zu systematisieren, birgt immer die Gefahr der Vereinfachung. Diese ist sogar bei der Präsentation einer Ausstellung wie dieser unvermeidlich. In postmodernen Zeiten der unendlichen Differenzierungen und Dekonstruktionen gehört Mut dazu, klare Aussagen zu machen, eine feministische Position zu beziehen und den gesellschaftlichen Realitäten die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie den kulturellen Symbolsystemen. Hier hat sich jemand getraut.
Die Ausstellung „Sie und Er – Frauenmacht und Männerherrschaft“ wird in der Kölner Kunsthalle am Neumarkt gezeigt und ist dort noch bis zum 8. März zu sehen.
Der zweibändige Katalog kostet 68 DM, der Kurzführer 15 DM
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