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Rot und Grün suchen das Kanzleramt

■ Grüner Sonderparteitag stimmt trotz Garzweiler für Fortsetzung der rot-grünen Koalition in NRW. Die SPD beginnt den Wahlkampf in Niedersachsen mit viel Zulauf und ein wenig Streit über die Kandidatenkür fürs Kanzleramt

Berlin (taz) – Der Bundestagswahlkampf fängt in den Ländern an: In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen signalisierten Bündnisgrüne bzw. Sozialdemokraten am Wochenende ihren klaren Willen zur Macht in Bonn. In Jüchen entschieden sich die NRW-Grünen mit überraschend deutlicher Mehrheit, trotz des Streits um das geplante Braunkohleloch Garzweiler II an der Koalition mit der SPD festzuhalten. Ein Scheitern der Düsseldorfer Koalition hätte ein mögliches Bonner rot-grünes Bündnis in Frage gestellt. In Hannover eröffneten SPD-Parteichef Oskar Lafontaine und Ministerpräsident Gerhard Schröder den niedersächsischen Wahlkampf, dessen Ergebnis mit darüber entscheiden wird, mit wem die SPD Kanzler Kohl in Pension schicken will.

Dem Votum in NRW folgte tiefes Aufatmen in Bonn: Als eine „Entscheidung der Vernunft“ bezeichnete der grüne Fraktionschef im Bundestag, Joschka Fischer, den Kurs des Landesverbands. Bei der Bundestagswahl werde eine „langfristige Zukunftsentscheidung“ über die Energiepolitik geführt. Eine Wende in der Energiepolitik sei Voraussetzung für eine Koalition der Bündnisgrünen mit der SPD. Bonner Grüne hatten in den letzten Tagen hinter den Kulissen mächtig Strippen für die Düsseldorfer Koalition gezogen. Parteisprecher Jürgen Trittin erklärte, das Ja der NRW-Grünen für die Düsseldorfer Koalition bedeute einen Motivationsschub für den Bundestagswahlkampf. Fischer am Samstag selbstbewußt: „Wir wollen einen Wechsel in Bonn im Herbst.“

Wechseln will auch Gerhard Schröder, und zwar ins Kanzleramt nach Bonn. Doch erst mal muß er am 1. März in Niedersachsen gewinnen. Dazu bedarf es besonderer Inszenierung: In drei Zirkuszelten in Hannover läuteten Schröder und Kanzlerkandidaten-Konkurrent Lafontaine gestern vor 11.000 begeisterten Sozis den Wahlkampf ein. „Wir wollen die Wahl in Niedersachsen gewinnen, wir wollen in Sachsen-Anhalt gewinnen, und wir wollen in Bayern gewinnen und Stoiber endlich die Lederhose ausziehen“, sagte Lafontaine unter frenetischem Beifall. Schröder dementierte alle Vermutungen um einen Konflikt zwischen ihm und dem SPD-Chef um die Kanzlerkandidatur: „Entscheidungen, die getroffen werden, werden freundschaftlich getroffen.“ Er spielte damit auf ein Spiegel-Interview an, das er selbst gegeben hatte. Der Niedersachse hatte eine Entscheidung über die Kandidatenfrage schon kurz nach der Niedersachsenwahl gefordert: „Spätestens bis zum 7. März, dem Wahlkampfauftakt in Sachsen-Anhalt, brauchen wir ein klares Votum“, sagte er. Ansonsten würde der SPD Unentschlossenheit vorgehalten.

SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering hatte das am Freitag noch ganz anders gesehen und den 16. März als Termin für eine Entscheidung im Parteivorstand genannt. Johannes Rau versuchte gestern mit seiner Harmonie den Zeitplan zu retten: Er erklärte, die Sozialdemokraten würden schon vor dem 16. März deutlich machen, wer im September gegen Helmut Kohl antritt. „Naürlich wird man die Zeit vom 1. bis 16. März nicht damit vertun, daß man Tagesordnungen verschickt“, so der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Schröder selbst sagte gestern dazu nur, es gebe viele, die „den Kanzlerkandidaten der SPD erst nach der Bundestagswahl bestätigen wollen. Wir haben uns verständigt: Wir machen es noch vor der Wahl.“

Verliert Schröder in Niedersachsen zwei Prozent gegenüber den letzten Wahlen, will er für Bonn nicht mehr zur Verfügung stehen und Lafontaine den Vortritt lassen. Doch die Chancen für ihn stehen nicht schlecht: Nach letzten Umfrageergebnissen könnte Schröder am 1. März mit 45 Prozent die Nase vorn haben – 1994 kam die SPD auf 44,3 Prozent.

Indirekte Hilfe in der parteiinternen Konkurrenz um den besten Kanzlerkandidaten erhielt Schröder ausgerechnet von der PDS. Gregor Gysi erklärte, seine Partei werde zwar Lafontaine zum Kanzler wählen, nicht aber Schröder. Zur Begründung sagte der PDS-Fraktionschef, die PDS könne nur eine „Reformregierung“ unterstützen. Dies sei aber mit Schröder nicht möglich. Da die SPD jedoch alles, nur keine Nähe zur PDS im Wahlkampf gebrauchen kann, dürfte die solidarische Geste Gysis für Oskar Lafontaine eher dessen Widersacher Gerhard Schröder nützlich sein.

Die letzten Umfrageergebnisse zeigen die Bonner Opposition weiter im Aufwind. Nach den Zahlen des ZDF-Politbarometers vom letzten Freitag bauten sowohl Schröder als auch Lafontaine ihren Vorsprung gegen Kohl weiter aus. 47 Prozent der Befragten wollten lieber Lafontaine als Kohl (39 Prozent) als Kanzler sehen, im Vergleich Schröder/Kohl erhielt der niedersächsische Ministerpräsident gar 61 Prozent gegenüber 31 Prozent für den noch amtierenden Kanzler. Nur noch ganze 34 Prozent fanden es gut, daß Kohl überhaupt erneut Bundeskanzler werden will. Wenn jetzt Bundestagswahl wäre, käme die CDU/CSU auf 37 Prozent, die SPD auf 38 Prozent, die Bündnisgrünen auf zehn, die FDP auf sechs und die PDS auf vier Prozent klh

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