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Das Glasperlenspiel mit der Strafprozeßordnung

Seit zwei Jahren stehen Bernauer Polizisten vor Gericht. Tatvorwurf: Mißhandlung vietnamesischer Zigarettenhändler  ■ Von Martina Mai

Mit mehr als zwei Jahren Dauer ist der Prozeß in Frankfurt an der Oder gegen vier der ursprünglich acht Bernauer Polizisten einer der längsten in der Brandenburgischen Justizgeschichte. Die Vorgänge in der Polizeiwache Bernau hatten im Sommer 1994 bundesweit für Aufsehen gesorgt: Polizisten sollen vietnamesische Zigarettenverkäufer geschlagen und getreten haben. Die Vietnamesen haben sich nach eigenen Angaben nackt ausziehen und zum Gespött der Polizeibeamten Grimassen schneiden müssen. Das anfängliche Medieninteresse hat nachgelassen. Doch jeden Montag werden im Landgericht Zeugen vernommen oder strafprozessuale Finessen erörtert.

Vier der ursprünglich acht Angeklagten sind inzwischen freigesprochen worden, ihnen konnten die Tatvorwürfe nicht nachgewiesen werden. Gegen die verbliebenen vier Polizisten wurde inzwischen etwa die Hälfte der Tatvorwürfe fallengelassen, wegen Mangels an Beweisen. Die Polizisten haben längst das Gefühl verloren, überhaupt angeklagt zu sein und fragen sich, „warum wir überhaupt noch kommen müssen“. Werden sie am Ende doch verurteilt, so erwarten sie Haftstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren.

Die Angeklagten hatten den gesamten Prozeß über zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Einen Prozeß mit ungeheuer komplexen Tatvorwürfen gegen eine Mauer des Schweigens zu führen, das ist nach Ansicht der Staatsanwaltschaft der Grund für die außergewöhnlich lange Wahrheitssuche.

Nicht die Richter, sondern die von der Polizeigewerkschaft aus Bayern, Westfalen und Berlin an die Oder geholten Strafverteidiger führen im Gerichtssaal Regie. Sie teilen die Tatvorwürfe in „legales polizeiliches Handeln, das immer staatlich gewollte Gewaltanwendung ist“, und „Vorfälle, bei denen die Frage steht, ob sie stattgefunden haben“. Legal sei beispielsweise, wenn Polizisten die Flucht von mutmaßlichen Gesetzesübertretern verhinderten. Bei den in Frage gestellten Vorwürfen handle es sich, so Verteidiger Frank Sommer, um Konstruktionen des vietnamesischen Vereins „Reistrommel“ und der Medien. Mit diesen Vorurteilen im Kopf und eben nicht vorurteilsfrei hätte das Landeskriminalamt gegen ihre Kollegen ermittelt. Sommer und seine Kollegen ließen im Gerichtssaal das Entstehen von Pressetexten, die polizeilichen Ermittlungen und richterlichen Vernehmungen nachzeichnen und schienen eine Reihe von formalen Fehlern gefunden zu haben: Im Vorfeld des Prozesses hatte das Gericht die Aussagen der Vietnamesen durch richterliche Vernehmungen sichern lassen, damit die auch dann verwertet werden sollten, wenn die abgelehnten Asylbewerber Monate später außer Landes wären. Die Richter hatten jedoch mit Dolmetschern gearbeitet, die zwar in Berlin, nicht aber in Brandenburg vereidigt waren. Die Folge ist fatal: Diese richterlichen Vernehmungen darf das Frankfurter Gericht nicht würdigen.

Aber auch im Gerichtssaal haben mehrere Zeugen in den angeklagten Polizisten ihre Peiniger wiedererkannt und die Vorgänge detailliert geschildert. Diese Aussagen hält die Verteidigung für unglaubwürdig. In der vietnamesischen Mentalität sei Harmonie mit nahestehenden Menschen ein höherer Wert als Wahrheit, so Verteidiger Sommer. Es sei möglich, daß die Betroffenen ihre Aussagen aufeinander abgestimmt hätten. Mehrere Vietnamesen seien zudem vor dem Landgericht Berlin angeklagt, so Sommer. Dabei ginge es nicht „lediglich um Zigarettenhandel“, sondern um „versuchte Morde, Raub und Schutzgelderpressung“. Dies könnte Sommer zufolge, „bei der Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugen nicht außer acht gelassen werden“. Das sieht die Staatsanwaltschaft anders. Sie hält es für denkbar, daß Straftäter auch Opfer anderer Straftaten werden könnten. Die Möglichkeiten der Wahrheitssuche sind nach Ansicht der Staatsanwälte „nahezu erschöpft“. Sie kritisieren, daß die Verteidigung „das Verfahren mit immer neuen Beweisanträgen in die Länge zieht“.

Immer wieder droht der Prozeß zu platzen. Etwa alle zwei Monate beantragt die Verteidigung, das Gericht für befangen zu erklären. Wenn auch nur ein Antrag durchkommt, muß das Verfahren mit neuen Richtern und Schöffen von vorn beginnen. Da mehrere Vietnamesen inzwischen außer Landes sind, andere sich nicht mehr präzise erinnern können, stünden in einem neuen Prozeß kaum noch belastende Aussagen zur Verfügung.

Die Richter sind vorsichtig geworden. Das Landgericht war von einem raschen Prozeßende ausgegangen und hat weder Ergänzungsrichter noch Ergänzungsschöffen berufen. Nachträglich ist das nicht möglich. Das Gericht muß jeden Montag genau mit denselben Richtern und Schöffen die Wahrheit suchen. Wird auch nur einer ernstlich krank, platzt der Prozeß: Es ist unzulässig, ein Strafverfahren länger als zehn Tage zu unterbrechen. Irgendwann, so scheint die Verteidigung zu kalkulieren, wird jemand krank werden.

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