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Der Konzern bezahlt

Kurzarbeit „Null“bei vollem Lohnausgleich: IG Metall erkämpft in Barmstedt ein einzigartiges Qualifizierungsmodell  ■ Von Kai von Appen

Der Führerschein als Weiterbildung? „Viele unserer Kolleginnen wohnen hier in Barmstedt, die kommen alleine nur schwer weg“, erklärt Rolf Biermann, warum die „Qualifizierungsgesellschaft Barmstedt“(QGB) sich an der Finanzierung der Fahrerlaubnis beteiligen würde. Schließlich könnten die MitarbeiterInnen dadurch in die Lage versetzt werden, durch Mobilität wieder einen Arbeitsplatz in der Region Elmshorn zu finden.

Biermann ist Personalleiter bei der Qualifizierungsgesellschaft für die ehemaligen Beschäftigten der Barmstedter Dosenfabrik „Züchner“. Die, eine Tochter des französisch-britischen Konzerns „Cernaud Metallbox“(CMB), wurde zwar im Dezember dicht gemacht, doch arbeitslos sind die MitarbeiterInnen nicht. Der IG Metall gelang ein einzigartiges Modell: Zum Jahresende wechselten 118 der 130 Beschäftigten in die „QGB-GmbH“und bekommen nun auf zwei Jahre abgesichert Kurzarbeitergeld vom Arbeitsamt bei einer „Null“-Stundenwoche. Der Clou: Die Differenz zu 90 Prozent des letzten Netto-Lohn zahlt die CMB. Biermann: „Mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld kommen die Kollegen auf bis zu 107 Prozent.“

Auch die drei Festangestellten – für das Management ist ein Mitarbeiter der IG Metall-nahen „Agentur für Struktur- und Personalentwicklung“(AgS) zuständig, der Züchner-Betriebsratsvorsitzende Biermann übernahm die Personalleitung und eine IG-Metall-Sekretärin sorgt für die soziale Betreuung – werden von „Cernaud Metallbox“finanziert. Zudem stellte der frühere Arbeitgeber zunächst 360.000 Mark Sofortmittel für Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Verfügung, die nicht vom Arbeitsamt oder aus EU-Mittel finanziert werden – was bei Kurzarbeit im Gegensatz zur Arbeitslosigkeit ab sofort möglich ist. Und er bezahlt die Miete für Sozi-al-, Personal- und Schulungsräume auf dem Gelände des Barmstedter Regalbauers „Grimm Display“.

„Wir mußten weg von der Illusion, wir können den Betrieb erhalten“, erklärt Elmshorns IG-Metall-Sekretär Uwe Zabel. Doch ungeschoren sollte der Konzern nicht davonkommen: „Die, die Arbeitslosigkeit verursachen, müssen auch blechen.“Als die Schließungsabsichten bekannt wurden, legte die Gewerkschaft daher einen „Ergänzungstarifvertrag Qualifikationsgesellschaft“vor. „Damit hatte die Belegschaft automatisch zur Durchsetzung ein Streikrecht.“Und davon machten die Barmstedter auch Gebrauch. Im Mai 1997 besetzten sie den Betrieb und zwangen die CMB, die aufgrund von Lieferverpflichtungen und drohenden Konventionalstrafen in Höhe von 30 Millionen Mark in Zugzwang war, zum Einlenken.

„Die Arbeit läuft langsam an“, freut sich Biermann. So ist bereits der zweite Wochenkurs „Bewerbungstraining“mit Dozenten des DGB-Berufsfortbildungswerks zu Ende gegangen. „Viele Kollegen sind 20 Jahre bei Züchner gewesen, die wissen gar nicht mehr, wie das geht.“Neben solchen grundlegenden Lehrgängen, die in den eigenen Räumen abgehalten werden können, vermittelt das Modell-Projekt auch überbetriebliche Fortbildung, hilft bei Existenzgründungen oder kümmert sich um Praktikumsplätze.

So individuell wie möglich: Manager Hans-Joachim Olczyk hat mit jedem Mitarbeiter ein persönlichs Gespräch geführt und ein Berufsbild erstellt. Biermann: „Es gibt Fahrer, die bei einer Bewerbung durchfallen würden, weil sie keinen allgemeingültigen Gabelstaplerführerschein haben. Den können sie jetzt machen.“Gerade, erzählt er, habe es eine Anfrage nach Blechdruckern für Metalldosen gegeben. „Wenn das konkret wird, würden wir dafür eigens eine Weiterqualifizierungsmaßnahme ausarbeiten.“Abgerundet durch dreimonatige Betriebspraktika, die die QGB finanziert. „Natürlich vor dem Hintergrund, daß die Leute vielleicht dort auch einen Arbeitsplatz bekommen.“Über die Lokalpresse werden die Unternehmen aufgerufen, von den kostenlosen PraktikantInnen Gebrauch zu machen.

So vielseitig das Angebot auch ist, ohne Eigeninitiative der Beschäftigten, das weiß auch Biermann, läuft nichts. Jedoch: „Schlimmstenfalls sind die Leute nach zwei Jahren immer noch arbeitslos. Aber erst dann laufen Maßnahmen wie Arbeitslosengeld an.“

Das Barmstedter Modell wird nicht nur vom Arbeitsamt in Elmshorn positiv bewertet, sondern stößt auch anderweitig auf besonders reges Interesse. Zum Beispiel bei den Beschäftigten der Lübecker Dosenfabrik Schmalbach-Lubeca. Auch dieser Betrieb soll jetzt von der Konzernmutter „Impress metal-packing“geschlossen werden.

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