: Henning Scherf stellt die Lauscher auf
■ Die Zustimmung Bremens im Bundesrat macht den Weg frei: Die Unverletzlichkeit der Wohnung war einmal. Gerhard Schröder will auch ohne Nachbesserungen im Vermittlungsausschuß den Ausführungsgesetzen zustimmen
Bonn (taz) – Nach einer aggressiven Debatte hat der Bundesrat die Änderung des Grundgesetzes zur Einführung des Großen Lauschangriffs beschlossen. Für die Korrektur des Artikels 13, der die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, gab es in der Länderkammer 47 Stimmen, eine mehr als die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Gegen die Grundgesetzänderung stimmte allein das Land Schleswig- Holstein. Die anderen vier rot-grün regierten Länder enthielten sich. Gleichzeitig rief der Bundesrat den Vermittlungsausschuß zur Überprüfung der Ausführungsgesetze an. Die Mehrheit wurde durch das Votum des von einer großen Koalition regierten Stadtstaates Bremen ermöglicht. Im Gegenzug erhielt Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) die Zustimmung seines Koalitionspartners sowie aller rot und rot- grün regierten Länder für die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Die Fraktionssprecherin der Grünen, Kerstin Müller, kritisierte Scherf gegenüber der taz mit den Worten: „Der spielt sich auf als Retter der Grundrechte, und dann gibt er den zentralen Hebel aus der Hand.“
Ein entsprechendes Ausführungsgesetz vorausgesetzt, erlaubt die Grundgesetzänderung, künftig Wohnungen nicht nur zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, sondern auch zur Aufklärung von Straftaten akustisch zu überwachen. Im Vermittlungsausschuß will die SPD dafür sorgen, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte von der akustischen Überwachung auszunehmen. Zudem soll dringender statt einfacher Tatverdacht Voraussetzung für Abhöraktionen sein. Außerdem geht es darum, Betroffene schneller zu benachrichtigen.
Als Gastredner der Länderkammer warfen Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) und Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) der SPD vor, mit der Durchsetzung des Vermittlungsverfahrens den zuvor von Regierung und Sozialdemokraten vereinbarten Kompromiß aufgekündigt zu haben. Schmidt-Jortzig sagte, die SPD habe dadurch ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Es sei schlechter Stil, ständig Nachforderungen zu stellen. Kanther attackierte den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, erst mit „markigen Erklärungen“ für den Großen Lauschangriff eingetreten zu sein und nun im Bundesrat gegen seine Überzeugung für den Vermittlungsausschuß gestimmt zu haben. „Das wird man aufrufen müssen, wenn es um die Glaubwürdigkeit in der Politik geht“, sagte Kanther und deutete damit ein Wahlkampfthema an.
Schröder verwahrte sich gegen die Attacken, die nicht dem „Stil dieses Hauses“ entsprächen. Im Bundesrat werde keine Parteipolitik gemacht. Er räumte aber ein, daß er die Anrufung des Vermittlungsausschusses für „keine glückliche Lösung“ halte. Sein Land wolle dort aber konstruktiv an möglichen Verbesserungen mitarbeiten. Falls diese aber nicht erreicht werden könnten, werde Niedersachsen dem unveränderten Ausführungsgesetz zustimmen. Im Vermittlungsausschuß hat die SPD 16 und die Union 14 Stimmen, FDP und Bündnisgrüne verfügen über jeweils eine. Notwendig für einen Beschluß ist lediglich die einfache Mehrheit. Der Bundestag kann die Ergebnisse des Ausschusses ebenfalls mit einfacher Mehrheit ablehnen.
SPD-Chef Oskar Lafontaine kritisierte die „polemischen Äußerungen“ der beiden Bundesminister als „absurd und lächerlich“. Es sei eine „Dreistigkeit“, zu fordern, daß Verfassungsorgane wie die Bundesländer sich an Parteibeschlüsse gebunden fühlen müßten. Er bekunde Bremens Bürgermeister Henning Scherf Respekt.
Scherf hatte Nachbesserungen mit dem Hinweis gefordert, es sei undurchdacht, zwar Strafverteidiger von der akustischen Überwachung auszunehmen, nicht aber sonstige Rechtsanwälte. Lafontaine monierte, Gespräche mit Ärzten, Journalisten und Rechtsanwälten müßten in absoluter Vertraulichkeit geführt werden. An den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) gerichtet, sagte er: „Sie haben gesagt: Telefonüberwachungen bringen nichts mehr, weil die Verbrecher inzwischen wissen, daß sie abgehört werden können. Jetzt eine Denksportaufgabe: Was werden die Verbrecher wohl machen, wenn sie hören, daß Wohnungen abgehört werden dürfen?“
Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel führte an, die Erfolge der USA und Italien in der Verbrechensbekämpfung seien vor allem den Lauschangriffen zu verdanken. Die Verbrecher nutzten gerade Anwaltskanzleien als Basis für Gespräche. Kanther sagte, es dürfe nicht sein, daß sich Kriminelle vor Abhöraktionen durch den Umgang mit Personen schützen könnten, die nicht abgehört werden dürfen.
Die Union scheint unsicher geworden zu sein, ob sie ihr ursprüngliches Gesetzesvorhaben durchsetzen kann. Stoiber sagte: „Dies ist kein guter Tag im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Die Änderung des Grundgesetzes bringt uns überhaupt nicht weiter.“ Lafontaine zeigte sich zuversichtlich, Nachbesserungen zu erreichen. An die Union gerichtet, sagte er: „Sie werden sehen, es wird zu einem Kompromiß kommen.“ Markus Franz Tagesthema Seite 3
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