: Sind gewaltfreie Sitzblockaden Nötigung?
■ Bundesgerichtshof entscheidet gegen Greenpeace-Aktivisten, die vor dem AKW Würgassen ein Gleis besetzt hatten. Ziviler Ungehorsam soll weiter kriminalisiert werden
Freiburg (taz) – Aktionen zivilen Ungehorsams stoßen beim Bundesgerichtshof (BGH) weiterhin auf wenig Sympathie. Dies mußten jetzt zwei Greenpeace- Aktivisten feststellen, die im Mai 1996 mehrere Tage lang den Schienenzugang zum Atomkraftwerk Würgassen blockiert hatten, um gegen den Transport von Brennelementen zur französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague zu demonstrieren.
Bei der Aktion war ein Stahlkasten auf den Schienen befestigt worden, in den bis zu sechs Aktivisten ihre Arme steckten. Am zwölften Tag wußte sich der Kraftwerksbetreiber PreussenElektra nicht mehr anders zu helfen, als das etwa drei Meter lange besetzte Schienenstück auszuwechseln. Zwei Greenpeace-Aktivisten wurden danach wegen Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu saftigen Geldstrafen verurteilt.
Dagegen versuchte die Umweltorganisation vor dem BGH vorzugehen. Zum einen berief sie sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995, wonach gewaltfreie Sitzblockaden keine „Nötigung“ darstellten. Es könne keinen Unterschied machen, ob man sich mit oder ohne Stahlkasten auf die Schienen setzt, meinte hierzu Greenpeace-Anwalt Michael Günther. Doch der BGH, der Blockierer schon immer gern wegen Nötigung verurteilte, bestätigte die Rechtsprechung des Landgerichts.
Auch die Bestrafung wegen Sachbeschädigung fand Anwalt Michael Günther nicht nachvollziehbar: „Schließlich hat ja Greenpeace nicht die Schienen kaputt gemacht, sondern der Betreiber selbst.“ Doch der Bundesgerichtshof hielt dagegen: Schon das Anbringen des Stahlkastens sei eine Sachbeschädigung gewesen. Es reiche nämlich, wenn die „bestimmungsgemäße Brauchbarkeit der Sache nachhaltig gemindert“ werde.
Greenpeace überlegt jetzt, gegen die BGH-Entscheidung das Verfassungsgericht anzurufen. Nach Ansicht des BGH ist das aber gar nicht möglich. Das Grundgesetz schütze nur „friedliche“ Demonstrationen, und davon könne bei einer Aktion dieser Dauer und Intensität nicht die Rede sein.
In den letzten Monaten hatte der BGH in zwei Grundsatzurteilen entschieden, daß Demonstranten bei Aktionen zivilen Ungehorsams schadenersatzpflichtig werden. Für jeden Tag, an dem das blockierte Objekt nicht weitergebaut werden kann, müssen die Blockierer die Kosten tragen. Auch hiergegen sind in Karlsruhe schon Verfassungsbeschwerden anhängig. Christian Rath
(Az 4 StR 428/97)
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