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Mit Schlagstöcken gegen Trauernde

■ Serbische Polizei sperrt albanische Dörfer im Kosovo für Trauergäste. Augenzeugen berichten von planmäßigem Mord an albanischer Familie. EU ruft Belgrad und Pristina zu Dialog auf

Belgrad/Priština/Brüssel (dpa/AP) – Die serbische Polizei hat gestern in der serbischen Provinz Kosovo zwei albanische Dörfer abgeriegelt, um die Anreise von albanischen Trauergästen zu verhindern. In den Orten Likosani und Cirez westlich der Provinzhauptstadt Priština sollten zehn von der serbischen Polizei am vergangenen Wochenende getötete Albaner beigesetzt werden. Zum Begräbnis wurden Tausende von Menschen erwartet. Der politische Führer der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, erklärte den Dienstag zum „Staatstrauertag“, berichtete die Belgrader Nachrichtenagentur Beta aus Priština.

Bei den Auseinandersetzungen zwischen der serbischen Sonderpolizei und Demonstranten waren am Wochenende im Kosovo nach serbischen Berichten 16 Albaner und vier Polizisten ums Leben gekommen. Albanische Quellen beziffern die Zahl der getöteten Landsleute mit etwa 30. Augenzeugen berichteten über die gezielte Ermordung von Albanern durch die serbische Polizei. Ein westlicher Diplomat in Priština gab die Schilderung von Zeugen eines Polizeieinsatzes im Dorf Cirez wieder. Danach trieben die Einsatzkräfte eine Familie aus ihrem Haus, schlugen die einzelnen Mitglieder und töteten sie. Anderen Berichten zufolge wurde die Familie aus nächster Nähe erschossen. Eine unabhängige Bestätigung dieser Informationen lag nicht vor.

Der Belgrader Rundfunksender B-92 berichtete von sporadischen nächtlichen Schießereien in verschiedenen Teilen Kosovos. Nach Informationen der jugoslawischen Nachrichtenagentur Tanjug erlag gestern ein Serbe im Kosovo seinen Verletzungen, die er bei einem Angriff von Albanern erlitten hatte.

Die Europäische Union verurteilte jegliche Gewalt im Kosovo. In einer Erklärung der britischen Ratspräsidentschaft hieß es, die EU rufe die Behörden in Belgrad und die Führer der albanischen Gemeinschaft im Kosovo erneut auf, den Streit friedlich beizulegen.

EU-Außenkommissar Hans van den Broek sagte bei einem Besuch des jugoslawischen Handelsministers Borislav Vuković, die EU sei äußerst besorgt über die Situation im Kosovo. Er ermahnte den jugoslawischen Bundespräsidenten Slobodan Milošević, einen Dialog mit den Separatisten zur Beilegung des Konflikts aufzunehmen. „Die Gemeinschaft kann nicht untätig zusehen, wenn der Konflikt möglicherweise auf die Nachbarstaaten übergreift.“

Van den Broek stellte klar, daß die EU Forderungen nach Unabhängigkeit nicht unterstütze. Für die berechtigten Anliegen der Demonstranten müsse eine andere, friedliche Lösung gefunden werden. Der britische Außenminister Robin Cook wollte nach Informationen aus Delegationskreisen in Brüssel noch gestern nach Belgrad aufbrechen.

Unterdessen haben die internationalen Friedenstruppen (SFOR) für Bosnien gestern alle Spekulationen über einen möglichen Einsatz im Kosovo zurückgewiesen. „Unser Mandat beschränkt sich auf Bosnien-Herzegowina und Kroatien“, sagte SFOR-Sprecher Louis Garneau in Sarajevo.Die Entwicklung im Kosovo sei auch in den Augen der SFOR-Führung „sehr beunruhigend“. Für eine Analyse der Lage sei jedoch „ausschließlich“ das Nato-Hauptquartier in Brüssel zuständig.

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