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Knallharte Schnapsidee

Heute vor 25 Jahren: Der Kräuterlikör-Fabrikant Günter Mast kapitalisiert per Trikotwerbung die Fußball-Bundesliga  ■ Von Martin Sonnleitner

Die Geschichte beginnt im Mittelalter. Die Legende erzählt, der heilige Hubertus sei in seiner Jugend ein wilder und hemmungsloser Jäger gewesen. Bis ihm aus dem Dunkel des Waldes ein kapitaler weißer Hirsch entgegentrat, zwischen dessen Geweih ein lichtumflutetes Kreuz aufleuchtete. Da wurde aus dem Saulus ein Paulus.

Der Hirschkopf mit Strahlekranz ist heutzutage bekannt als Markenzeichen des Kräuterschnapses „Jägermeister“ und berühmter als das Wappen von Bayern München. Das ist das Verdienst von Günter Mast. Der war über vier Jahrzehnte Denker und Lenker der Mast-Jägermeister AG in Wolfenbüttel und gilt als Erfinder der Trikotwerbung in der Fußball-Bundesliga.

Mast wurde jüngst als Generalmanager bei Jägermeister geschaßt, doch Freund und Feind sind sich einig: Der als ein wenig grantelnd geltende Herr, meist mit Hut und getönter Brille auftretend, hat Spuren hinterlassen.

Mast hatte seine Vision während des Bundesligaskandals der Saison 1970/71, in den auch der damals renommierte Erstligaverein Eintracht Braunschweig verwickelt war. Wegen sinkender Zuschauerzahlen waren nicht nur die Niedersachsen in dieser Zeit vom Bankrott bedroht. Doch im nur 20 Kilometer entfernten Wolfenbüttel residierte ja ein solventer Spezi von Eintracht-Präsident Ernst „Balduin“ Fricke. „Es waren die räumliche Nähe und die Verbindung zu den leitenden Herren, die mich auf eine Idee brachten“, sagt Mast (71) heute.

Die Idee war folgende: Der Braunschweiger Löwe, seinerzeit Vereinswappen und 6 bis 8 Zentimeter groß die Brust der Bundesligaspieler zierend, sollte zur Rückrunde der Saison 1972/73 ersetzt werden durch das 18 Zentimeter große kapitale Haupt eines Zwölfender-Hirschs, Wahrzeichen des Magenbitters „Jägermeister“. Als Gegenleistung sicherte Mast dem Verein 500.000 Mark für fünf Jahre zu.

Doch die DFB-Statuten untersagten Mannschaften aller Klassen, mit ihrer Spielkleidung Werbung zu betreiben. Der damalige Pressechef des DFB, Dr. Wilfried Gerhardt, warnte vor der geplanten Premiere Anfang 1973: „Mit dem Fall Braunschweig wird sich der Bundesliga-Ausschuß befassen.“ Würden die Braunschweiger den Wildschädel auf ihrem gelb- blauen Jerseys tragen, hatten die Schiedsrichter Anweisung, das Spiel nicht anzupfeifen. Der Coup mußte verschoben werden.

Mast und die Vorstandsriege von Eintracht Braunschweig konterten mit Bauernschläue. „Paragraph 1 der Braunschweiger Satzung, der den Löwen als Vereinswappen vorsah, wurde einfach geändert“, erzählt Mast. Fortan war der Hirsch mit dem Kreuz zwischen den Hörnern offizielles Vereinsemblem. Der Firmenname sollte den Trikots fern bleiben.

Der DFB empörte sich dennoch, obwohl 1972 ein Exklusivvertrag mit adidas, der für vier Jahre 175.000 Mark einbrachte, die obersten Sittenwächter des deutschen Fußballs dazu verpflichtete, die deutschen Nationalmannschaften bei allen Länderspielen adidas- Stiefel tragen zu lassen.

Im Februar 1973 relativierte das Präsidium des DFB seine Meinung, beschloß aber: Der Name des Vereins müsse in irgendeiner Form in diesem „Hirschkopf-Abzeichen“ erscheinen und dieses dürfe „ein Durchmesser von 14 cm nicht überschreiten“. Die schon fertigen Trikots mußten noch einmal geändert werden.

Am 24. März 1973 war es schließlich soweit. Die Jägermeister-Mannen leiteten im Heimspiel gegen Schalke 04 ein neues Kapitel Bundesligageschichte ein.

Die Resonanz war beträchtlich. Nicht nur die westdeutsche Presse beklagte den Verlust von „traditionellem Idealismus“, selbst das Ostberliner Sport-Echo ließ seiner Entrüstung über Masts „Schnapsidee“ freien Lauf: „Wir sorgen dafür, daß uns jene nicht zu nahe kommen, die bedauernswerte Sportler zu leblosen Reklamepuppen erniedrigen.“

Das war Mast egal. „Ich bin kein Freund des Sports, für mich ist das ein Geschäft, denn Sport ist das größte Unterhaltungsmedium“, bekannte er und versuchte, die Methoden, mit denen er seine Firma regierte, auf die Eintracht zu übertragen. Der Braunschweiger Ex-Profi Klaus Gerwien erinnert sich: „Mast war ein harter Geschäftsmann, der nur mit dem Vorstand, nicht einmal mit dem Trainer sprach.“ Den Spielern zeigte er sich mit je einem Karton „Jägermeister“ und „Schlehenfeuer“ erkenntlich. Das Leergut wollte er zurückhaben.

„Ich trinke Jägermeister, weil...“, war künftig aus keiner Kicker-Ausgabe mehr wegzudenken und wurde zur bekanntesten Werbung in Deutschland. Mast galt als Genie in Public Relations. Schon in den 70er Jahren pumpte der studierte Volkswirt 18 Prozent seines Werbeetats, rund fünf Millionen Mark, in die Sportwerbung. Die Braunschweiger Fußballer versorgte er bis 1977 mit 1,6 Millionen Mark. Selbst Paul Breitner konnte von Real Madrid ins Niedersächsische geholt werden.

Noch heute lobt Breitner den Gönner für dessen Professionalität. „Mast ließ keinen Zweifel daran, daß es ihm um ,Jägermeister‘ ging“, sagt Breitner, „das gefiel mir.“ Er hatte zusammen mit Uli Hoeneß 1971 die USA besucht, wo längst schon die Vermarktung des Berufssports begonnen hatte. Beiden wurde dort klar, was auch in Deutschland kommen mußte. Heute tituliert Breitner seinen einstigen WG-Genossen Hoeneß als „Enkel Masts“.

Aber nicht alle haben Mast in so freundlicher Erinnerung. Gelegentlichen Anflügen von Großzügigkeit folgten harte Maßnahmen. „Zu meinem 250. Bundesligaspiel bekam ich eine Münze im Wert von 750 Mark geschenkt“, erzählt Wolfgang Grzyb, Mitglied des Meisterteams von 1967. Doch als sich Grzyp in der Öffentlichkeit negativ über den Kollegen Breitner äußerte, flog er aus dem Kader.

Der passionierte Jäger Mast konnte selbst dem Abstieg der Eintracht 1974 (dem ein sofortiger Wiederaufstieg folgte) Positives abgewinnen. Schließlich sei negative Werbung ebenso effektiv wie bezahlte, nur wesentlich billiger.

Ende 1973 hatte der DFB endgültig die Trikotwerbung freigegeben, und fortan trug die Eintracht den Schriftzug „Jägermeister“ auf dem Rücken. Schnell folgten der HSV und „Campari“, Eintracht Frankfurt und „Remington“, der MSV Duisburg und „Brian Scott“, Fortuna Düsseldorf und „Allkauf“. Der Schalker Läufer Jürgen Wittkamp erkannte schon vor über 20 Jahren die Zeichen der Zeit: „Ich würde auch in einem Trikot spielen, auf dem ,Scheiße‘ statt Schalke steht, Hauptsache die Kohlen stimmen.“ Er ging dann aber nach Mönchengladbach.

Heute, 25 Jahre nach Masts Pioniertat, wird beim unangefochtenen Branchenführer Bayern München fast die Hälfte des Umsatzes von der Werbeabteilung erschlossen. Ob Uli Hoeneß es dem alten Mast dankt? „Mast hat den Fußball als Werbeträger entdeckt“, sagt der Bayern-Manager großzügig, „das kann er sich ans Revers stecken.“ Macher Mast wird darauf verzichten können. Noch immer macht Jägermeister mehr Umsatz als Bayern München.

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