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Kirchen beten die Grünen über fünf Prozent

■ Christliche Kirchen erklären grünes Wahlprogramm für weitgehend deckungsgleich mit ihren eigenen wirtschaftlichen und sozialen Forderungen: „Die Realisierung wird ernsthaft nur bei Grünen diskutiert“

Münster (taz) – Nach einer Woche voller Rückschläge haben Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende Unterstützung für ihren Wahlkampf von unerwarteter Seite erhalten. Die grünen Visionen zum Umbau der deutschen Wirtschaft deckten sich weitgehend mit den Vorstellungen der beiden großen christlichen Kirchen zur Zukunft der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, erklärten hochrangige Vertreter beider Kirchen bei einer Diskussionsveranstaltung in Münster. „Was die Kirchen mit ihrem Wort zur sozialen und wirtschaftlichen Lage gefordert haben, ist nur mit den Grünen umzusetzen“, sagte der Sozialethiker und Vordenker der katholischen Soziallehre, Friedhelm Hengsbach. Auch Hermann Barth, Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) betonte, er sehe „derzeit keine andere Partei, in der ernsthaft über die Themen Gerechtigkeit, ökologischer Umbau und Reform des Sozialstaates“ gesprochen werde.

Bei der Veranstaltung „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ forderte die bündnisgrüne Bundessprecherin Gunda Röstel von den Kirchen „deutliche Worte“ und „Rückendeckung“ für die grünen Forderungen nach einem Politikwechsel. In ihrem aktuellen Wahlprogramm haben die Grünen, die lange für die Kirchen als unwählbar galten und die selbst den Kirchen am liebsten die Finanzierung über Kirchensteuern streichen wollen, die christlichen Kirchen erstmals als „Verbündete“ für den Umbau der Industriegesellschaft bezeichnet. Damit bezieht sich die Partei auf das gemeinsame Wort der evangelischen und katholischen Kirche zur sozialen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Darin hatten die Kirchen im Frühjahr 1997 in zum Teil scharfer Form Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und ungerechte Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft kritisiert. Doch während die Grünen für ähnliche Forderungen in letzter Zeit verbal kräftige Prügel bezogen, versickerte das Kirchenwort „ohne Wirkung auf den Gesetzgeber“, wie Friedhelm Hengsbach formulierte. Das Wort sei „totgelobt worden“, hieß es aus der Kirche.

Die Klassifizierung des gemeinsamen Wortes zum „Wahlprüfstein“, die der katholische Paderborner Weihbischof Reinhard Marx auf der Veranstaltung vornahm, und die Übereinstimmung bis hinein in die Sprache des Papiers rücken die Aussagen in die Nähe einer kirchlichen Wahlempfehlung für die Grünen. „Gegen die Forderung der Kirchen aus dem gemeinsamen Wort ist die grüne Forderung nach fünf Mark für den Liter Benzin eine Kinderei“, erklärte Hengsbach.

EKD-Vizepräsident Hermann Barth benannte die Liste der grün-kirchlichen Gemeinsamkeiten: „Für ein ökologisches Umsteuern, für die dringend benötigte Durchsetzung der Steuergerechtigkeit, für eine gerechtere Verteilung des Einkommens und für eine neue Erwerbs- und Familienarbeit sind die Kirchen auf die Grünen angewiesen.“ Weihbischof Marx, der Mitglied in der Kommission für gesellschaftliche Fragen der Katholischen Bischofskonferenz ist, sekundierte, die „Kirchenkritik der FDP hat die Kirchenkritik der Grünen inzwischen an Schärfe weit überholt“.

Mit einem „außerparlamentarischen Aktionsbündnis Solidarität und Gerechtigkeit“ will die „Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei den Grünen“ den Druck von unten für einen Politikwechsel verstärken. Nach dem Vorbild der italienischen Olivenbaum-Bewegung des italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi sollen Gruppen aus dem sozialen, umweltpolitischen und religiösen Bereich miteinander vernetzt werden.

Himmlischen Frieden zwischen Christen und Grünen gab es dennoch nicht. Bei Themen wie Abtreibung, Religionsunterricht oder Kirchensteuern wurden tiefgreifende Konflikte deutlich. Aus dem etwa 60köpfigen Publikum wurde außerdem kritisiert, daß sich mit den Kirchen eine Institution zur Vorreiterin des Politikwechsels mache, die selbst undemokratisch verfaßt sei und kein Vorbild beim ökologischen Umsteuern, der ethischen Geldanlage oder der familienfreundlichen Beschäftigung sei. Deutlich wurde auch, daß weder Grüne wie die Teilnehmerinnen Röstel oder die Kirchenpolitikerin Christa Nickels noch die Kirchenvertreter für ihren Vorstoß von der Mehrheit in ihren jeweiligen Organisationen bisher den Segen bekommen haben. Bernhard Pötter

Kommentar Seite 12

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