Elefantenpost: Lux – die Seife der Filmstars!
■ Das indische Kino feiert seine „Oscars“ mit Lunchpaketen und Flachmännern eher trashig. Dagegen achtet man bei den Wahlen für die besten Werbespots auf Demut und Leidenschaft
In Bombay haben die Sommerferien begonnen: die Damen motten ihre dick bestickten Seidensaris ein, und die mittelständischen Jugendlichen haben deutlich mehr Zeit, im Fernsehen Cricket zu gucken oder an den Stadtstränden herumzuhängen. Kurz vor Sonnenuntergang mischen sich dort Liebespaare, gelangweilte Ehemänner und unermüdliche Getränkeverkäufer unter die obdachlosen Strandbewohner: High-noon für Bettler!
Das Betteln ist in Indien ein facettenreicher Beruf, der unterschiedliche Grade der „Professionalität“ erreicht. Seit den 80er Jahren, so erzählt eine Sozialarbeiterin, wäre es sehr verbreitet, daß Eltern sich und/oder ihre Kinder auf furchtbarste Weise verstümmeln, um besser Mitleid erregen zu können. Die „gemäßigteren“ strecken die eine Hande aus und reiben sich mit der anderen den Bauch, viele warten auch vor den Kinos auf Popcorn-, Eis- und Chipsreste. In den touristischen Gegenden wird man von jungen Mädchen häufig nicht um Geld, sondern um Milchpulver gebeten, die Büchse für 210 Rupien – was mit umgerechnet zehn Mark der absolute Tageshöchstsatz sein dürfte.
Vor allem die jüngeren Straßenkinder präsentieren in ihrer Betteltechnik atemberaubende Leistungen. Mehrere hundertmal am Tag versuchen sie mit „echtem“ Interesse irgendwelche Westler in ein Gespräch über deren Heimat und das schöne Indien zu verwickeln, geben „Einkaufstips“ und lächeln dazu herzzerreißend. Fortlaufend begegnet man diesen melodramatischen Szenen. Wäre es angesichts der knallharten Verhältnisse nicht allzu zynisch, könnte man auf Bombays Straßen nach der besten schauspielerischen Leistung im Bettelgenre suchen und diese mit einer Trophäe auszeichnen...
Diese Idee kam mir, als ich jüngst an der „Lux-Zee-Cine- Award“-Zeremonie teilnehmen durfte, Lux – die Seife der Filmstars! Preisverleihungen im Medienbereich sind derzeit groß in Mode, und jeder namhafte „Bollywood“-Filmschaffende hat viele dieser Auszeichnungen in seinem Wohnzimmer, es handelt sich dabei entweder um stilistische Varianten des Hollywood- Oscars oder aber auch um vogelhausähnliche Objekte, die mit goldenen Plaketten, Figürchen oder Schleifen verziert sind.
Die Verleihzeremonien finden in diversen Stadien statt, wo sich die riesige Filmszene ein Stelldichein gibt, neue Projekte verrät, schicke Abendgarderobe zeigt, Küßchen austauscht und über andere lästert – genau wie bei uns. Anders ist allerdings der Ablauf dieser Abende. Zuerst guckt man, was das „Lunchpaket“ auf dem Stuhl an Leckerreien zu bieten hat – und gießt sich heimlich mitgebrachten Whiskey in die auf Tabletts gereichten Cola-Becher. Vorne moderiert ein Promi-TV-Paar vor gigantomanischem Dekor in Nebelschwaden und verleiht stundenlang Preise. Für die beste Playback-Sängerin, den besten Bösewicht, den besten Vamp, den besten Lyriker, den besten Komiker usw. usw.
Unterbrochen wird die Ehrenparade durch großartige Balletteinlagen im abgefahren-hysterischen Hindi-Stil. Das Ganze wirkt wie eine gekonnte Subversion der Hollywood-Oscar-Verleihung, da viele Geehrte ihre Fahrer bzw. Sekretäre schicken, die stellvertretend die Auszeichnung entgegennehmen. Die dürfen sich dann kurz vorstellen und die Abwesenden entschuldigen. Wenn dann doch mal ein Star präsent ist, sagt er beispielsweise, daß dieser Abend unvergeßlich sein wird – im gesamten nächsten Jahr!
Auch CNN sponsert so eine Veranstaltung, die „Abby“- Awards für die Werbebranche. Hier gab es statt Ballett Gesangseinlagen: die schönsten Lieder des letzten Werbejahres! Ein Hartschalenkoffer, ein Shampoo und Motorräder wurden ausführlich und allerliebst live besungen. Zusätzlich gab es eine Ausschreibung für einen Werbespot zum Thema „Passion“. „Was wäre Werbung ohne Leidenschaft?“ fragte die Moderatorin. Sieger wurde ein Dreißig-Sekunden- Schwarzweißfilm, in dem ein junger Bettler mit Leidenschaft einem Yuppie seine Schicksalsgeschichte durchs halbgeöffnete Taxifenster erzählt, von der verstorbenen Mutter und dem kranken Bruder. Der Mann rückt schließlich fünf Rupien raus, der Bettler gibt eine zurück. Diese Geste wird im Bild eingefroren, darunter wird eingeblendet: „85% Passion, 15% Commission“. Dorothee Wenner
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