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Ermittlungen gezielt ins Leere geleitet

Anfang der 80er Jahre wollte Staatsanwalt Holtfort aus Köln ein Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher in Frankreich einleiten. Sein Vorgesetzter verhinderte es. SS-Offiziere mußten sich nie verantworten  ■ Von Barbara Siebert

Köln (taz) – Vor wenigen Wochen wurde in Bordeaux Maurice Papon zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß er als hoher Beamter des Vichy-Regimes an der Deportation französischer Juden mitgewirkt hat. Seine Befehle, die er gewissenhaft erfüllte, erhielt er von den deutschen Besatzern. Es ist zu fragen, ob diejenigen, die Papon und seinesgleichen anwiesen, sich jemals vor bundesdeutschen Gerichten verantworten mußten.

Einer, der versucht hat, NS- Verbrechen aufzuarbeiten, ist Staatsanwalt Rolf Holtfort. Bis 1984 arbeitete er an der Kölner Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen. In seinen Ermittlungsbereich fielen alle Verfahren, die sich mit der „Endlösung der Judenfrage“ im besetzten Frankreich beschäftigten. Zahlreiche Beschuldigte, gegen die er ermittelte, waren nach dem Krieg in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. In Deutschland hatten sie bis zur Ratifizierung des Deutsch-Französischen Zusatzabkommens von 1975 nichts zu befürchten, denn Frankreich behielt sich bis zu diesem Zeitpunkt die alleinige Verfolgung dieser NS-Täter vor. Nach der Ratifizierung des Vertrages begann 1979 in Köln der erste Prozeß in Deutschland, in dem drei ehemalige SS-Offiziere wegen ihrer Mitwirkung bei der Deportation der französischen Juden vor Gericht standen. Staatsanwalt Holtfort konnte dem Hauptangeklagten Kurt Lischka anhand von Dokumenten nachweisen, daß er von Paris aus die Transporte in die Vernichtungslager organisiert hatte.

Holtfort hatte aber nicht nur gegen drei, sondern gegen insgesamt 200 Personen ermittelt. Zwölf dieser Beschuldigten wollte er in einem zweiten Prozeß vor Gericht bringen. Hauptangeklagter sollte der in Köln lebende Regierungsrat a.D. Walter Nehrich sein. Neben ihm hätten sich unter anderem die Juristen Rudolf Bilfinger, Friedrich Merdsche, Heinrich Illers und Hans-Dietrich Ernst vor Gericht verantworten müssen. Illers war Stellvertreter des rechtskräftig verurteilten Kurt Lischka in Paris gewesen, während Bilfinger in Toulouse, Merdsche in Orléans und Ernst in Angers als Kommandanten des Sicherheitsdienstes für den reibungslosen Ablauf der Judendeportationen sorgten.

Die Dienststellen, deren Leiter die Beschuldigten waren, arbeiteten Hand in Hand. Staatsanwalt Holtfort ging daher bei seinen Ermittlungen von dem juristischen Tatbestand des sogenannten „sachlichen Zusammenhangs“ aus. Auf dieser juristischen Grundlage plante er, alle Beschuldigten gemeinsam in einem zweiten großen Frankreich-Verfahren anzuklagen. Aber genau dies wurde verhindert, wie Holtfort gestern in einem Beitrag von „Report Baden-Baden“ sagte. Einen Tag nach Beendigung des Lischka-Verfahrens erhielt er von seinem damaligen Vorgesetzten Generalstaatsanwalt Pfromm die telefonische Anweisung, nur jene Fälle weiter zu bearbeiten, bei denen die Beschuldigten im Raum Köln/Bonn lebten. Alle anderen Fälle seien an die zuständigen Ortsstaatsanwaltschaften abzugeben. Formaljuristisch läßt sich diese Entscheidung des damaligen Generalstaatsanwalts genauso begründen wie Rolf Holtforts juristischer Ausgangspunkt des Sachzusammenhangs. Nur – während das letztere wahrscheinlich zu einem großen Prozeß und zu einer Verurteilung der Beschuldigten geführt hätte, wirkte sich die Zerschlagung von NS-Verfahren fast immer äußerst vorteilhaft für die Angeklagten aus. Nach Einschätzung von Rolf Holtfort griff Generalstaatsanwalt Werner Pfromm mit seiner Entscheidung eindeutig zugunsten der Beschuldigten in die Vorgänge ein. Möglicherweise spielte dabei eine Rolle, daß einige der Männer, gegen die Anklage erhoben werden sollte, nicht nur Juristen waren, sondern auch als Beamte im Justizdienst Karriere gemacht hatten. Heinrich Illers war bis zu seiner Pensionierung Senatspräsident am Landessozialgericht in Niedersachsen. Rudolf Bilfinger arbeitete am Verwaltungsgericht in Mannheim. Friedrich Merdsche, den die Franzosen dreimal in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatten, war Landgerichtsrat in Frankfurt. Ein großer Prozeß hätte die Frage aufgeworfen, wie es möglich war, daß ehemalige SS-Offiziere als Juristen problemlos im bundesdeutschen Beamtenapparat aufsteigen konnten. Ähnliche Fragen stellen sich auch, wenn man die Laufbahn des Generalstaatsanwalts Werner Pfromm betrachtet.

Werner Pfromm trat 1934 als gerade 19jähriger in die NSDAP ein. Im Jahr darauf profilierte er sich als Oberkameradschaftsführer der Hitler-Jugend. Der Oberleutnant und Assessor im Kriegsdienst Werner Pfromm gab schließlich seine Kenntnisse der nationalsozialistischen Weltanschauung als NS-Führungsoffizier in Schulungen an andere Soldaten weiter. Das Ende des Krieges war nicht das Ende der Karriere des ehrgeizigen ehemaligen NS-Führungsoffiziers. Nachdem er 1946 vergeblich versucht hatte, im Justizdienst des Landes Sachsen Fuß zu fassen, wandte er sich nach Westen. In Bonn gelang ihm nach einem problemlos verlaufenden Entnazifizierungsverfahren der Aufstieg in der Staatsanwaltschaft. Mehrere Jahre lang war Pfromm Staatsanwalt für politische Angelegenheiten. Dabei erfuhr er viel über die Vorgänge hinter den politischen Kulissen in Bonn, und als FDP-Mitglied hatte er einflußreiche Freunde, die seine Beförderung zum Generalstaatsanwalt in Köln tatkräftig förderten. Möglicherweise hat Werner Pfromm damit einigen dieser politischen Freunde einen Gefallen getan. Für die Beschuldigten jedenfalls war die Zerschlagung des Prozesses ein Glücksfall. Die Verfahren Ernst, Merdsche und Bilfinger wurden von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Grund: Beweismangel. Der Prozeß gegen Illers endete wegen altersbedingter Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten.

Das nordrhein-westfälische Justizministerium brachte jetzt ein Forschungsprojekt auf den Weg, in dem auch die Hintergründe, die zur Einstellung, Zerschlagung oder Verschleppung von NS-Verfahren in NRW führten, durchleuchtet werden sollen. Staatsanwalt Holtfort ist in Köln nicht mehr zuständig für die Verfolgung von NS-Verbrechen. Er wurde zum Jugendgericht versetzt. Die Begründung: Die Versetzung erfolge, da in seinem ursprünglichen Tätigkeitsbereich schließlich keine Arbeit mehr anfalle.

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