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Regen aus Natreen

■ Die Lemonbabies haben "Pussy" und "Porno" im Platten-Titel, aber nicht in ihrer Musik - schön anzuhören ist ihr neues Album trotzdem

Kennst du das Land, wo die Blumen Lollis sind, die Wolken aus rosa Zuckerwatte gemacht werden und die Sonne immer in die Herzen scheint? Einmal im Jahr regnet es dort, dann aber ist der Regen aus Natreen flüssig. Das ist das Land, wo die Lemonbabies blühen. Wo Musik erklingt, die dich in Sicherheit bringt.

Ihr neues Album „porno.“ strotzt nur so von Streichereinlagen, ist mit fetten, hippen Loops und dollen Effektgeräten aufgepumpt. Die Songs der Berliner All- Girl-Group handeln von Optimismus und Jasagen, von „your eyes“ und „paradise“. Nett ausgedrückt, sind ihre Stimmen in die Songs integriert wie bei den Bangles oder jetzt den Cardigans. Garstig gesagt, sind die Stimmen dünn wie Alete. Glücklich machen können sie trotzdem, so, wie es glücklich machen kann, im Frühjahr die Wohnung zu putzen, Bücher zu sortieren oder den Kleiderschrank auszumisten. Die Lemonbabies haben sich professionalisiert, wollen reich und berühmt werden. Ihre Melodien sind zu glatten Ohrwürmern mutiert, schön einfach und voraussehbar.

Diane und Julia, die von Anfang an dabei waren, sind nett und niedlich, adrett und wohlerzogen. Als Diane fünfzehn war und Julia vierzehn, hörten sie besonders gern Girlgroups der Sechziger wie die Ronettes und die Shangri-Las. Sie konnten ein bißchen singen, aber keine Instrumente spielen, fanden in einem Zehlendorfer Jugendheim Proberäume und hatten schon bald ihren ersten Auftritt. Es muß fürchterlich geklappert haben. Vom Technischen her „ein einziger großer Klumpen Scheiße“, sagt Diane Weigmann heute. „Trotzdem war die Show lustig, individuell, und alle fanden uns süß.“ Fortan traten sie in der U-Bahn, in Jugendheimen und auf Stadtteilfesten auf und übten, übten, übten. 1994 unterschrieben sie einen Vertrag mit Sony, wo dann zwei Alben erschienen. Weil der Girlie-Boom bald wieder ausklang, ließ Sony die „Mädels“ 1996 fallen wie heiße Schrippen. Was Wunder, daß sie heute alles andere als girlie sein wollen: Deutschlands männlich dominierte Musikindustrie hatte versucht, die amerikanische Riot- Grrrl-Bewegung dem hiesigen Markt anzupassen. Hierzulande waren die Girlies also süß und frech, sollten aber nicht politisch werden. Um Platten zu verkaufen, durften sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit nicht so wichtig finden wie ihr lustiges Leben: „Ich bin so froh, daß ich ein Mädchen bin.“

Trotzdem halten die Lemonbabies feministische Forderungen für „total erledigt“. Da sie selbst in die Männerdomäne „Sex and Drugs and Rock 'n' Roll“ vorgedrungen sind, glauben sie fest daran, daß es in zehn Jahren in der Musikindustrie genauso viele Frauen geben wird wie Männer. Aus ihrer Sicht verständlich: Warum jetzt noch für etwas kämpfen, was man selbst schon praktisch durchlebt hat? Daß sie sich auf ihrem Erfolgskurs – inzwischen haben sie wieder einen Plattenvertrag – vor allem an Leistungsprinzipien halten müssen, die sie nicht erfunden haben, daß sie immerzu den „Arsch hochkriegen“, Fleiß und Disziplin an den Tag legen mußten, ist für sie das Normalste der Welt.

Obwohl sie keine Girlies mehr sein wollen, pochen sie auf „selbstbewußten Spaß ohne Verklemmungen mit Körper und Köpfchen“, lassen sich nackt oder miteinander knutschend fotografieren und wollen irre ironisch sein, indem sie ihr letztes Album „Pussy!Pop“ und das neue „porno.“ nannten. Ein wirkliches Spiel mit den Klischees entstünde indes nur, wenn „Pussy“ oder „Porno“ auch in der Musik der Lemonbabies stattfinden würde. Dazu aber klingt auch ihr neues Album wieder nicht provokativ oder exzentrisch genug. Sie sind eben nur „Gören“ (B.Z.), füllen kein Universum aus und klingen deshalb immer so, als würden sie ihrem Freund, der schon als Profimusiker auf die Welt gekommen ist, ein Lied vorsingen. Beweisen wollen sie ihm damit nichts. Sie finden es cool, für ihn keinen Schlaf zu kriegen und keine Schokolade mehr zu essen. Aber was soll's. Schließlich gibt es auch genug Jungs-Bands, die kaum zu den Sternen reichen und gern bei ihren Freundinnen sind. Dem Frühjahrsputz schaden weder die einen noch die anderen. Susanne Messmer

Lemonbabies: „porno.“ Four Music/Sony, ab 28.4.

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