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Behinderte zurück ins Heim

Senat will Behinderte zu Pflegefällen machen, um Geld zu sparen. Betroffene protestieren heute dagegen, „weggesperrt“zu werden  ■ Von Lisa Schönemann

Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: Wegen drastischer Ein-sparungen im Behindertenbereich soll jetzt auch bei den Hamburger Wohngruppen ordentlich gekürzt werden. Schwer- oder Mehrfachbeeinträchtigte sollen nicht mehr in Wohngemeinschaften, sondern in Pflegeeinrichtungen leben.

Der Senat plant, mindestens 800 der insgesamt 3500 Behinderten in den Wohnstätten zu mehreren „Pflegeabteilungen“zusammenzulegen. Diese Einrichtungen würden nicht mehr wie bisher von Sozialpädagogen, sondern von Pflegekräften geleitet werden; die Betreuten hätten zwar Anspruch auf Pflege, aber nicht mehr auf soziale Unterstützung und Förderung. Denn dafür zahlt die Pflegekasse keinen Pfennig.

Dadurch würden „gerade jüngere Behinderte einen Teil ihrer Selbstbestimmung verlieren“, befürchtet Martin Eckert vom Verein „Leben mit Behinderung“. Heranwachsende würden an gesetzlichen Hürden scheitern, wenn sie das Elternhaus verlassen wollen.

Für die Stadt hätte die Umgestaltung von WGs zu Pflegeheimen den Vorteil, daß die gesetzliche Pflegeversicherung nicht mehr wie bisher etwa 500, sondern bis zu 2800 Mark pro behindertem Bewohner herausrücken müßte. „Intelligentes Sparen“nennt Renate Kurt-Petersen, Amtsleiterin bei der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS), diesen Versuch, mindestens zwölf Millionen Mark pro Jahr nicht auszugeben. Bislang unterstützt die BAGS einen Wohngruppenplatz mit rund 6000 Mark.

Keinesfalls aber gehe es darum, Behinderte wie vor 40 Jahren lediglich „satt und sauber zu verwahren“, so die Amtsleiterin. Vielmehr solle der Sozialhilfeträger durch Beträge entlastet werden, die den Behinderten ohnehin aus der Pflegekasse zustünden.

Der Hamburger Verein „Leben mit Behinderung“hat inzwischen rund 10.000 Unterschriften gegen diese Planung gesammelt und fordert, die Gehandikapten nicht in „ungeeignete Strukturen“zu zwingen. „Die Pflegeversicherung muß den Bedürfnissen der Behinderten angepaßt werden und nicht umgekehrt“, so Martin Eckert. Sonst könnten die Behinderten „zum Spielball beliebiger Kürzungsphantasien“werden.

Unter dem Motto „Wir lassen uns nicht als Pflegefall wegsperren“findet heute (Beginn 16.30 Uhr auf dem Stephansplatz) ein Protestumzug der Hamburger Behindertenverbände statt. Zum Abschluß des Europäischen Aktionstages für die Gleichstellung und gegen die Diskriminierung behinderter Menschen wollen die Verbände einigen Bürgerschaftsabgeordneten am Abend auf einer Veranstaltung die gesammelten Unterschriften übergeben (Südring 36, 20 Uhr).

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