: Weniger Lohnnebenkosten durch weniger Urlaub
■ Norbert Walter, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, meint, Schröder wäre gerne ein deutscher Blair. Er bezweifelt aber, daß Rot-Grün in Bonn eine solche wirtschaftliche Dynamik entfachen wird
taz: Herr Walter, BDI-Chef Hans-Olaf Henkel hat das Wahlprogramm der SPD als „reaktionär“ bezeichnet und in scharfem Ton vor einem Regierungswechsel gewarnt. Graust auch Ihnen vor einer Regierung Schröder?
Norbert Walter: Mir graust vor Teilen der wirtschaftspolitischen Äußerungen im SPD-Prgramm, die absolut nicht dazu beitragen, die dramatische Arbeitsmarktsituation zu verbessern.
Was ärgert Sie am meisten?
Der kritische Punkt ist für mich, daß die SPD die Trippelschritte der jetzigen Koalition, die in die richtige Richtung gehen, wieder zurücknehmen will. Dazu zählt die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das Minireförmchen bei der Altersversorgung oder die Liberalisierung beim Arbeitsrecht. Zudem kommt die SPD in der Steuerpolitik mit Vorschlägen daher, die kaum realisierbar sind, weil sie die vom Bundesverfassungsgericht aufgegebenen Grenzen verletzen. Man kann nicht den Spitzensteuersatz für Privatpersonen auf 49 Prozent und den der Unternehmenssteuer auf 35 Prozent festlegen. Eine solche Spreizung wird nicht gehen. Im Ergebnis können die Vorschläge dazu führen, daß wir bei hohen Steuersätzen bleiben. Das ist natürlich alles andere als hilfreich für die Revitalisierung dieses eingeschlafenen Landes.
Ihre Kritik an der Schlafmützigkeit im Lande steht doch in einem deutlichen Kontrast zu der aktuellen Entwicklung. Der Export boomt, der Dax bricht immer neue Rekorde, die Produktivität und die Gewinne steigen. So schlimm kann es um die Belastung der Unternehmen nicht stehen...
Viele Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland haben nennenswerte Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagert, weil bei uns die Rahmenbedingungen – insbesondere für arbeitsintensive Produktionen – nicht mehr stimmen. Gleichzeitig wurden im Inland Kostensenkungsprogramme realisiert. Beide Entwicklungen haben dazu geführt, daß die Gewinne dieser Unternehmen kräftig gestiegen sind. Auch die Abwertung der D-Mark hat zu diesem Ergebnis beigetragen. Der Zwang zur Kostenreduzierung hat aber die geringer qualifizierten Arbeitnehmer aus dem Erwerbsprozeß herauskatapultiert. Weniger tüchtige Unternehmen sind in Konkurs gegangen. Mit einer solchen Entwicklung kann man in Zeiten von Überbeschäftigung leben, aber nicht, wenn man fünf Millionen Arbeitslose hat.
Die Arbeitslosen über eine Politik der Deregulierung und der Steuersenkung in Beschäftigung zu bringen ist das seit Jahren erklärte Ziel der Koalition. Im Ergebnis ist das Konzept doch gescheitert.
Der Fortschritt bei der Steuersenkung war doch so gering, daß man davon nichts Belebendes erwarten konnte. Deshalb spreche ich ja auch von Reförmchen und nicht von Reformen. Tatsächlich gibt es nicht viel Anlaß, die Bundesregierung für eine couragierte Politik zu loben. Doch die Ankündigungen der SPD zielen ja darauf ab, selbst das wenige Positive wieder einzukassieren.
Die tatsächliche Steuerbelastung der Wohlhabenden in diesem Land liegt doch weit unter dem Höchtssteuersatz.
Dies liegt an den Fehlern im deutschen Steuersystem. Erst organisiert der Staat eine Vielzahl von Steuervermeidungsmöglichkeiten, damit die Leute in Ostdeutschland investieren, und dann beschwert er sich hinterher, daß die Steuerbelastung geringer ausfällt. Das ist doch im höchsten Maße unehrlich. Ich habe seinerzeit – ebenso wie Graf Lambsdorff – davor gewarnt zu versuchen, die Probleme der deutschen Vereinigung durch Sonderabschreibungen zu lösen. Jetzt haben wir das Problem. Viele der im Osten über diesen Weg getätigten Investitionen werden sich nie rentieren und zu einem Verlust des eingesetzten Eigenkapitals führen. Tatsächlich ist die aktuell niedrige Steuerquote das traurige Ergebnis eines staatlichen Lenkungsversuchs, der uns am Ende eine falsche Verwendung von Ressourcen beschert hat. Statt die Steuerbasis auszuhöhlen, geht es darum, die Steuersätze selbst kräftig zu senken. Das ist der einzig erfolgversprechende Weg, um eine neue Dynamik zu entfachen.
Diese Dynamik zu entwickeln, trauen bereits viele Manager eher Schröder als Kohl zu. Sie glauben nicht an den deutschen Blair?
Ich vermute, daß Gerhard Schröder lieber früher als später eine Politik im Sinne von Blair verfolgen würde. Doch die eigentliche Frage ist, ob man in Deutschland in einer Koalition der real existierenden SPD mit den Grünen einen Blair-Kurs fahren kann. Das bezweifle ich. Aber ich weiß, daß es in der Wirtschaft auch Leute gibt, die solche Zweifel nicht hegen. Ich wünschte, ich hätte die Gründe für meine Zweifel nicht.
Schröder will im Falle seines Wahlsieges möglichst schnell das Bündnis für Arbeit wiederbeleben. Was halten Sie davon?
Ich befürchte, daß wir mit der Aktivierung der Großgruppen und Kartelle in der derzeitigen Lage nicht so zügig vorankommen, wie das nötig wäre. Wir sehen doch, was in den neuen Bundesländern passiert. Dort flüchten immer mehr Unternehmen aus dem Tarifkartell, um wirtschaftlich zu überleben. Für die Jetztzeit ist das im Sinne der Beschäftigten und der schwachen Unternehmen die bessere Lösung. Natürlich wäre es schön für uns, ohne einen solchen Wildwuchs auszukommen. Doch die dramatische Lage am Arbeitsmarkt läßt das nicht zu. Die Funktionäre in den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden scheinen unfähig oder unwillig, den Ernst der Lage zu erkennen. Für sie scheint es unvorstellbar, die gewohnten Privilegien zu verlieren. Warum müssen in diesem Land die Unternehmen einen sechswöchigen bezahlten Urlaub gewähren? Wir fragen die jungen Leute gar nicht, ob sie mit drei Wochen zufrieden wären, wenn sich dadurch ihre Chancen auf einen Job erhöhten. Warum lassen wir so was nicht zu? Dadurch könnten die Lohnnebenkosten massiv gesenkt werden.
Mehr Arbeit durch geringere Löhne?
Ich habe vor drei Jahren gesagt, daß man durch eine Reduzierung der Bruttolohnkosten um 20 Prozent vermutlich wieder eine Situation erreichen kann, die der Vollbeschäftigung gleichkommt. Wir haben inzwischen schon rund acht Prozent abgehobelt. Und was passiert? Es rührt sich endlich etwas in der verarbeitenden Industrie Deutschlands. Es werden wieder Leute in der Auto- und Elektroindustrie eingestellt. In diese Richtung muß es weitergehen. Dazu braucht man, da hat Hans-Olaf Henkel recht, eher eckige Entscheidungen als Versammlungen an Runden Tischen mit vom Kartell geprägten Funktionären.
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