: Gemeinnützigkeit mit begrenztem Nutzen
■ Der dritte Sektor expandiert zwar, doch ist er zu klein und finanziell zu stark vom Staat abhängig, um den Arbeitsmarkt entlasten zu können. Nicht nur in Deutschland, auch im Mutterland des Gemeinsin
Eine Vision: Die Deutsche Bank spendet eine Millionen Mark als Basis einer neuen Sozialstiftung in Frankfurt. Die Bürger der Region erhalten die Zusage, daß jeder Betrag, den sie ihrerseits für den Stiftungszweck beisteuern, aus diesem Fonds so lange verdoppelt wird, bis dessen Mittel erschöpft sind. Zwei Millionen Mark kommen so für die Stiftung zusammen. Solche „matching funds“, eine Art paritätischer Stiftungen aus Unternehmens- und Bürgergeldern, gibt es in den USA. In Deutschland gehören sie noch zu den Zukunftsvisionen der Fundraiser. Die zerbrechen sich den Kopf darüber, wie der gemeinnützige Sektor erweitert werden könnte.
Der gemeinnützige, der „dritte Sektor“ weckt immer wieder Hoffnungen, die Probleme von mangelnder Arbeit und schwindender Solidarität in der Gesellschaft zu bewältigen. Neue Arbeit, neuer Gemeinsinn sollen hier zu finden sein, das beschwören der US-amerikanische Sozialphilosoph Jeremy Rifkin, sein Landsmann Frithjof Bergmann und der britische Soziologe Anthony Giddens. Was an den Utopien dran sein könnte, beleuchten zwei Neuerscheinungen zum Thema. Der Stiftungsberater Rupert Graf Strachwitz gab eine Aufsatzsammlung heraus, das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) veröffentlichte neueste Ergebnisse des international vergleichenden Johns Hopkins Project.
Zum dritten Sektor, auch Non- profit-Sektor genannt, zählen nach WZB-Definition eingetragene Vereine, gemeinnützige Vereine, Stiftungen, Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, Verbraucherorganisationen, gemeinnützige GmbHs, freie Krankenhäuser, Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen, also Einrichtungen, die keine Gewinne erwirtschaften und keine öffentlichen Behörden sind. Nicht dazu gehören u.a. Genossenschaften und politische Parteien. Während in der Wirtschaftsterminologie der Begriff „dritter Sektor“ den Dienstleistungssektor bezeichnet, meinen die Sozialforscher damit den „dritten“ Sektor jenseits von Markt und Staat.
Fazit der Forschung: Der Nonprofit-Sektor in Deutschland ist direkt und indirekt größtenteils von öffentlichem Geld abhängig. Bei knappen öffentlichen Kassen ist es daher unwahrscheinlich, daß hier vernünftig bezahlte neue Jobs in nennenswerter Zahl entstehen. Auch die Hoffnung, daß viele gutbetuchte Deutsche ihren Gemeinsinn entdecken und nach US-Vorbild eine Stiftung nach der andern gründen, wird sich nur begrenzt erfüllen. In Untersuchungen zeigten sich die Deutschen eher hedonistisch und nur bedingt bereit, von ihrem Erbe etwas abzugeben.
In den vergangenen Jahrzehnten expandierte der dritte Sektor, weist der Soziologe Helmut Anheier nach. 1,3 Millionen Beschäftigte arbeiteten im Westen Anfang der 90er Jahre im Non-profit-Sektor, in gemeinnützigen Krankenhäusern, Kindergärten und Verbraucherberatungen. Zwei Drittel davon waren Frauen. Jeder fünfte zwischen 1970 und 1987 neu geschaffene Arbeitsplatz entstand im Non-profit-Sektor. Nahezu jedes zweite Krankenhausbett, die Hälfte aller Plätze in Pflegeheimen und jeder dritte Kindergartenplatz werden vom dritten Sektor getragen. Bei den sozialen Diensten kommt ein ehrenamtlicher Mitarbeiter auf neun bezahlte Angestellte, auf dem Gebiet von Freizeit und Kultur hingegen stehen sechs Freiwillige einem bezahlten Mitarbeiter gegenüber.
Die politisch oft beschworenen Bewegungen der Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen machen nur einen kleinen Teil des dritten Sektors aus. Mächtig hingegen sind die freien Wohlfahrtsverbände wie die katholische Caritas, die Arbeiterwohlfahrt, die evangelische Diakonie, das Deutsche Rote Kreuz und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband. Sie profitieren am meisten vom traditionellen Subsidiaritätsprinzip. Nach diesem Prinzip delegiert der Staat soziale Dienstleistungen möglichst an Non-profit-Organisationen und unterstützt diese finanziell bei ihren Aufgaben.
Das Subsidiaritätsprinzip hat zur Folge, daß sich der dritte Sektor in Deutschland zu zwei Dritteln aus öffentlichen Mitteln und Geld der Sozialversicherungen finanziert. Dazu zählen das Tagegeld der Krankenkassen und Platzgeld aus der Sozialhilfe ebenso wie ABM-Gelder aus der Arbeitslosenversicherung. Gebühren und Mitgliedsbeiträge sind eine nachrangige Einkommensquelle. Private Spenden, Unternehmensspenden und Stiftungsgelder schließlich machen gerade 4 Prozent des Gesamteinkommens des deutschen Non-profit-Sektors aus!
Das allgemein verbreitete Vorurteil, daß im Ausland, insbesondere in den USA, private Spenden eine viel größere Rolle spielen als hierzulande, wird von den Autoren Anheier und Lester Salamon im WZB-Sammelband relativiert: Die amerikanischen Gemeinnützigen beziehen 51 Prozent ihrer Einkünfte aus Leistungsentgelten und Gebühren und weitere 30 Prozent vom Staat. Die privaten Spenden machen ein Fünftel der Einkünfte der amerikanischen Non-profit- Organisationen aus.
Die US-Amerikaner spenden zwar mehr als die Deutschen, zahlen aber keine Kirchensteuer. Wenn die Kirchensteuer mitberücksichtigt wird, erweisen sich die Deutschen als durchaus ebenso gebefreudig, ergibt sich aus den Daten im WZB-Sammelband.
Obwohl zahlenmäßig im dritten Sektor nicht bedeutsam, hat das deutsche Stiftungswesen in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt. Von insgesamt rund 5.500 Stiftungen wurde knapp ein Drittel zwischen 1983 und 1991 gegründet. Die Medien berichten neuerdings besonders über die „Bürgerstiftungen“, denen der von Strachwitz herausgegebene Reader ein eigenes Kapitel widmet. Die Bürgerstiftung Hannover beispielsweise will gemeinnützige Kultur- und Jugendprojekte fördern. Am Beispiel Hannover aber zeigen sich schon die finanziellen Grenzen dieser aus den USA importierten Idee: Als Startkapital von 50 Bürgern kamen nur 154.000 Mark zusammen, die erst noch kräftig aufgestockt werden müssen.
Der dritte Sektor ist zu klein und finanziell zu abhängig, um großflächige Lösungen für die Jobmangelgesellschaft zu bieten. Dennoch ist er wegen seiner „Werteorientierung“ der „Primärsektor verantwortlicher Selbstverwirklichung“, wie Rupert Graf Strachwitz schreibt. Der utopische Gehalt dieses Sektors, seine mediale Präsenz stehen in eigenartigem Verhältnis zu seiner marginalen ökonomischen Bedeutung. Und genau dieser utopische Überschuß ist seine Stärke. Barbara Dribbusch
Helmut K. Anheier et al. (Hg.): „Der Dritte Sektor in Deutschland“. Edition Sigma, Berlin, 36DM
Rupert Graf Strachwitz (Hg): „Dritter Sektor – Dritte Kraft“. Raabe Verlag, Düsseldorf, 89DM
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