Der Wortradikalismus auf Seiten von CDU und SPD nach der Absage an eine Großen Koalition in Sachsen-Anhalt zeugt von einer wachsenden Distanz der Politiker zu den realen Problemen der Wähler. Mit Inhalten zumindest versuchen die Volkspartei

Der Wortradikalismus auf Seiten von CDU und SPD nach der Absage an eine Großen Koalition in Sachsen-Anhalt zeugt von einer wachsenden Distanz der Politiker zu den realen Problemen der Wähler. Mit Inhalten zumindest versuchen die Volksparteien nicht, sich zu profilieren.

Schaukämpfe aus Mangel an Themen

„Die CDU lacht“, stand gestern auf der Titelseite der Bild-Zeitung, nachdem die Gespräche zur Bildung einer Großen Koalition in Sachsen-Anhalt geplatzt waren. Eine aufschlußreiche Überschrift. Das Massenblatt mit engen Kontakten zum Kanzleramt bestätigt, was viele Beobachter vermutet hatten: daß nämlich der Parteizentrale eine Neuauflage des Lagerwahlkampfs viel besser ins Konzept paßt als eine Regierungsbeteiligung in Magdeburg.

Die SPD habe „die politische Mitte endgültig geräumt“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Hintze in Bonn. Im Mittelpunkt des Wahlkampfs seiner Partei sollten zwar Programm und Kanzler stehen, „aber natürlich auch die Richtungsfrage“. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) warf Hintze gar „Sozialismus-Nostalgie“ vor. Verantwortlich dafür, daß Sachsen- Anhalt nun keine stabile Regierung erhalte, sei der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder.

Wortradikalismus soll derzeit im Wahlkampf parteiübergreifend die Themennot verdecken. Das war zu erwarten. Im Prozeß der europäischen Integration werden nationale Spielräume immer enger. Zerrissenheit eines Staates nach innen engt die Handlungsfreiheit weiter ein. Deshalb bemühen sich die großen Parteien in allen wirklich bedeutenden Fragen, vom Euro bis zur Rente, in stärkerem Maße als je zuvor um Konsens. Das erschwert die Abgrenzung.

Da eine solche Abgrenzung vor Wahlen nun aber üblich ist, sollen Scheinthemen bei den jeweiligen Anhängern wenigstens das warme Gefühl der Zugehörigkeit erzeugen. Wenn denn schon die inhaltliche Auseinandersetzung vermieden wird, dann tut's zur Not auch eine Diskussion über jugendgefährdende Folgen von Sex-Themen in Talkshows. Ein Lagerwahlkampf ist der Klassiker unter allen Appellen an politische Gefühle.

Erinnerungen werden wach. War nicht auch 1994 die SPD Sieger der Umfragen und Verlierer der Wahl? Haben die Erfahrungen von damals nicht bewiesen, daß die Trendwende zu schaffen ist? Öffentlich werden Unionspolitiker nicht müde, diese Fragen zu stellen. Intern wird anders gerechnet.

Helmut Kohl ist vier Jahre älter geworden, und die Sozialdemokraten haben dieses Mal mit Gerhard Schröder einen Kanzlerkandidaten, der sich als Hoffnungsträger der Nation präsentiert. Derzeit liegt die SPD in Umfragen bei 46 Prozent, die Union bei 32 Prozent, Grüne und FDP bei jeweils fünf Prozent. Die Arbeitslosigkeit wird vor den Wahlen nicht nennenswert sinken, der Aufschwung schwächer als ursprünglich erwartet ausfallen. Wer bei der CDU unter diesen Umständen heute noch auf eine Bestätigung der Bundesregierung durch die Wähler hofft, muß schon fest im Glauben sein.

So fest im Glauben sind die Strategen der Partei offenbar nicht. Ein Richtungswahlkampf wirbt kaum um Stimmen im Lager der Rivalen. Er zielt vor allem darauf ab, passive eigene Anhänger zu mobilisieren. Für einen Wahlsieg der Union reicht das nicht – aber vielleicht zum Mitregieren. Die Absage an eine Große Koalition in Magdeburg ist eine Einladung für ein derartiges Bündnis in Bonn.

Je mehr Parteien im Bundestag vertreten sind, desto größer werden die Aussichten für eine Elefantenhochzeit. Für FDP und Grüne wird's schon reichen. Nach wie vor besteht die Gefahr, daß auch Rechtsextremisten ins Parlament einziehen. Die PDS wurde in den letzten Jahren in Westdeutschland kaum noch zur Kenntnis genommen. Sie war zu einer Regionalpartei geworden. CDU-Generalsekretär Peter Hintze hat ihre Existenz der Bevölkerung in den alten Bundesländern ins Gedächtnis zurückgerufen. Diese Wahlhilfe mag ihr über die Fünfprozenthürde helfen, wenn es denn mit den notwendigen drei Direktmandaten nicht klappen sollte.

Die neuen Länder gibt die Union bereits verloren

In der Union werden die Karten gegenwärtig neu gemischt. Bis zu dem überraschend strahlenden Wahlsieg von Gerhard Schröder in Niedersachsen hatte in Bonn kaum jemand daran gezweifelt, daß sie aus den Bundestagswahlen als stärkste Fraktion hervorgehen würde. Fraktionschef Wolfgang Schäuble wäre in einer Großen Koalition Kanzler geworden, und die CDU hätte Zeit gehabt, sich in Ruhe zu konsolidieren. Heute sieht die Lage anders aus.

Wird die SPD stärkste Fraktion und Gerhard Schröder Bundeskanzler, dann besetzt die Union das Amt des Außenministers und Vizekanzlers. Diesen Posten, der ständiges Reisen erfordert, wird Schäuble nicht übernehmen. Verteidigungsminister Volker Rühe ist seit Wochen ungewöhnlich gut gelaunt. Der ewige Kronprinz Schäuble hatte vergeblich vor einem Lagerwahlkampf gewarnt.

Mittlerweile hat auch Bundeskanzler Helmut Kohl erkennen lassen, daß er seinem Generalsekretär mit seiner Wahlkampfstrategie Rückendeckung geben will. Noch vor wenigen Wochen war über dessen bevorstehende Ablösung offen spekuliert worden. Inzwischen scheint Hintze fester denn je im Sattel zu sitzen. Der bevorstehende CDU-Parteitag dürfte interessanter werden als zunächst erwartet. Das ungewöhnlich schnelle Scheitern der Verhandlungen in Magdeburg deutet darauf hin, daß der neue Kurs zunächst einmal die Delegierten mobilisieren soll.

Ob sich sonst noch jemand begeistern lassen wird, bleibt abzuwarten. Die neuen Bundesländer gibt die Union offenbar bereits verloren. Zaghafte Warnungen vor einem Lagerwahlkampf aus den Reihen der Ost-CDU werden tapfer ignoriert. Wolfgang Schäuble hat einfach dekretiert, es werde nicht wie vor vier Jahren über die Frage des Umgangs mit der PDS zu Konflikten kommen.

Unterdessen dürften sich Werbefachleute die Haare raufen. Sie warnen seit Monaten vor Negativ- Kampagnen. Politiker nicken parteiübergreifend einsichtig mit den Köpfen und segnen fröhliche Plakate und optimistische Slogans ab. Und was passiert, kaum daß es ernst wird? Aus den Schubladen werden Angstparolen und Horrorszenarien gekramt.

Sprache ist verräterisch. Die politische Sprache unserer Tage zeugt von wachsender Distanz zum real existierenden Leben. Im Alltag läßt sich gegen Toleranz nur schwer etwas unternehmen. In der Politik ist das anders. Deshalb haben sich die Leute an eine so seltsame Frage wie die gewöhnt, ob die SPD in Sachsen-Anhalt denn nun von der PDS toleriert werden darf oder nicht. Derlei Absurditäten fallen kaum noch auf, wenn Schaukämpfe auf der politischen Bühne ohnehin immer seltener eine Verbindung zu dem haben, was die Bevölkerung wirklich bewegt. Bettina Gaus, Bonn