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Beim Blutbad in der Sporthalle live auf Sendung

■ Prozeß um das Messerattentat auf zwei dänische Handballfans: Der Angeklagte schweigt

Stumm sitzen die drei Däninnen im Gerichtssaal und halten sich an den Händen. Es sind die Mutter, die Exfrau und die Tochter von Henning B., der vor fünf Monaten in der Max-Schmeling-Halle mit einem Freund bei der Handball- Weltmeisterschaft der Damen einem Messerattentat zum Opfer gefallen war. „Wir sind hier, weil Hennings Tochter den Mörder ihres Vater sehen wollte“, sagt eine der Frauen schlicht.

Der vor Gericht stehende 48jährige Jürgen. S. ist nicht wegen Mordes angeklagt, sondern wegen Totschlags. Zu den Vorwürfen wollte sich der gelernte Qualitätskontrolleur, der zur Tatzeit 2,1 Promille Alkohol intus gehabt haben soll, nicht äußern. Sein Verteidiger Friedhelm Enners begründete dies damit, daß sein Mandant keinerlei Erinnerung an den Vorfall habe. Nach Enners Auffassung handelt es sich um eine Vollrauschtat, für die es nicht bis zu 15 Jahre, sondern höchstens 5 Jahre geben könne. Der 1980 vom Westen freigekaufte DDRler Jürgen S. habe seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit vor zwei Jahren ein Alkoholproblem. Er sei ein absoluter Skandinavien-Fan, verneinte Enners ein ausländerfeindliches Motiv.

Auslöser für die Tat bei dem Spiel Dänemark gegen Rußland scheint eine Bagatelle gewesen zu sein. Einzige unmittelbare Augenzeugin war die 36jährige Freundin des getöteten Claus-Michael W. Sie sprach gestern von einem kleinen Streit mit dem Angeklagten um einen von den Dänen belegten Stehplatz. Die Dänen hätten diesen Streit jedoch nicht sehr ernst genommen. Plötzlich habe der „etwas ungewaschen“ wirkende Mann ein Messer in der Hand gehabt und damit auf Claus Michael W. eingestochen. In diesem Moment sei Hennig B. vom Bierholen zurück gekommen und habe sich auf den Täter gestürzt. Nachdem beide Männer zu Boden gefallen seien, habe der unten liegende Angeklagte mehrmals auf Henning B. eingestochen. Beide Opfer starben noch in der Halle.

Die Tat geschah unmittelbar hinter der Kabine eines dänischen Privat-Fernsehsenders. In einem gestern gezeigten Mitschnitt ist der Angeklagte mehrmals kurz zu sehen. Er geht aufrecht und scheint nicht zu torkeln. Statt sich auszublenden und einzugreifen, blieb der Redakteur die ganze Zeit auf Sendung und kommentierte das für den Zuschauer unsichtbare Geschehen in seinem Rücken wie ein Sportereignis: „Oje, oje, hier läuft was!“ rief er. Und: „Hier wurde einer mit dem Messer niedergestochen..., das sieht nicht so gut aus...“ In Dänemark hagelte es nach der Übertragung Proteste.

Die nach der Tat in Berlin geführte heftige Diskussion über ein generelles Alkoholverbot bei Sportveranstaltungen ist weitgehend folgenlos geblieben. Der Prozeß wird fortgesetzt. Plutonia Plarre

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