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Kuschelige Eliten

■ Im Dienste sozialverträglicher Elitenbildung. Das Evangelische Studienwerk Villigst feierte sein 50jähriges Bestehen. Festredner Rau mahnte zu mehr Besonnenheit in der Bildungspolitik

Wenn bildungspolitische Festreden auf der Tagesordnung stehen, rücken seit einiger Zeit wieder die obersten Repräsentanten an. Das war bei der Feier zum 50jährigen Bestehen des Evangelischen Bildungswerkes Villigst nicht anders. Johannes Rau war nach Schwerte-Villigst bei Dortmund gekommen, um eine seiner letzten Reden als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident zu halten. Wo Bundespräsident Herzog in einer seiner berühmten Reden Praxisbezug einklagte, erinnerte Rau an die Bedeutung von Geisteswissenschaft und Grundlagenforschung. Wo Herzog zu kürzeren Studienzeiten mahnte, rief Rau zu Besonnenheit auf: „Wir sind schnell dabei, von den Früchten der Bildung zu sprechen – vergessen aber allzu leicht, daß zu einem guten Fruchtstand eine Zeit der Reife gehört und eine gute Blüte.“

Blumig wie ein Festredner, ausgewogen wie ein Präsident: Die Sympathien der Protestanten eroberte Rau schnell. Und wenn er am Rande der Veranstaltung sagte: „Elite ist für mich eine moralische Kategorie und keine intellektuelle“, nickten die meisten zustimmend.

Obwohl Villigst Begabtenförderungswerk ist, spricht man dort nicht allzu gern von „Elite“. Aus verständlichen Gründen: Im Dritten Reich dachten und planten die Funktionseliten in Universitäten oder Verwaltung den rassistischen Massenmord mit. Als Leiter der Begabtenförderung kommt Professor Manfred Faßler aber nicht umhin, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen: „Wenn man heute noch von Elite spricht, muß man das wohl paradoxal formulieren: als Lern-Elite“, sagt er und skizziert die Schlüsselqualifikationen der „zweiten Moderne“: Schnell auf immer neue Prozesse reagieren und komplexe Zusammenhänge erkennen und dabei kompetente Entscheidungen treffen – das müsse Führungsschichten heute auszeichnen.

Das Evangelische Studienwerk Villigst ist eine von zehn öffentlichen Begabtenförderungseinrichtungen in Deutschland – und darunter eine der kleineren. Etwa 800 Studierende und Promovierende werden gefördert. Zum Vergleich: Die Studienstiftung des Deutschen Volkes unterstützt rund 5.000 Stipendiaten. 9,5 Millionen Mark erhielt das Villigster Werk im letzten Jahr vom Bundesbildungsministerium; gut 800.000 Mark von den evangelischen Landeskirchen. Die Förderung sieht ein bißchen aus wie Brot und Spiele: Geld, das analog zum Bafög berechnet wird, und ein freiwilliges Seminarprogramm, das die Stipendiaten aus Berlin oder München im Sommer auf dem Villigster Campus versammelt.

Drei von 20 Bewerbern werden in der Regel aufgenommen. Keine reinen IQ-Begabungen sind gefragt, vielmehr wollen die Villigster fachliche Talente mit einer streitbaren christlichen Haltung verbunden sehen. „Zum Protestantismus gehört vor allem, die Gestaltung dieser Welt ernst zu nehmen“, so Faßler. Und der Bremer Bürgermeister Henning Scherf, „Altvilligster“ und ein weiterer präsidialer Festredner, hält das Villigster Evangelischsein für ein „aufklärerisches, antiklerikales, antihierarchisches Prinzip“.

Diese Haltung schlägt sich auch in den Strukturen des Werkes nieder. Keine vergleichbare Stiftung räumt ihren Stipendiaten so weitreichende Mitbestimmungsrechte ein. Studierende sitzen im Vorstand, der die Studienleitung kontrolliert, die Sommerseminare konzipiert ein studentischer Ausschuß weitgehend selbständig. Basisdemokratie als Relikt von 68 – im idyllischen Schwerte-Villigst, kurz vor dem Sauerland, scheint sie noch zu leben.

In der Förderpolitik des Werkes halten allmählich die 90er Jahre Einzug: Man schaut verstärkt nach Talenten in anwendungsbezogenen Fächern – Techniker etwa oder Organisationspsychologen. Den Vorwurf, dem flachen Verwertbarkeits-Zeitgeist nachzugeben, will Manfred Faßler nicht auf sich sitzen lassen. „Wir müssen Anschluß halten an die dynamischen Bereiche der Gesellschaft“, sagt er. Was er im Hinterkopf hat: Traditionell dominieren Geisteswissenschaftler die Villigster Stiftung. Knapp 60 Prozent der Villigster sind angehende Theologen und Künstler, Sprach- oder Kulturwissenschaftler. Nur 15 Prozent studieren Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften. Auch Andreas Kock, Berliner Geschichtsstudent, meint: „Hätten wir mehr Techniker hier, wären wir ,Textarbeiter‘ manchmal eher unter Druck, uns zu legitimieren – kann ja nicht falsch sein.“

Lebendige Basisdemokratie, Öffnung zur naturwissenschaftlichen Kultur: Alles harmonisch in Schwerte? Fast, will man meinen. Doch schon das erste Hindernis, zum Beispiel mehr Ingenieure anzulocken, ist elementar: An vielen technischen Fachbereichen ist das Evangelische Studienwerk schlicht unbekannt. Ob das auch daran liegt, daß man dort gern unter sich ist? Wer das Haus Villigst besucht, taucht in ein Idyll: Der klassizistische Bau, die plätschernde Ruhr, der grüne Wald. Und auf der Jubliäumsfeier wurde er allzuoft beschworen, der „Villigster Geist“ oder „Familiensinn“. Das fühlt sich schön an und mollig. Nur schade, daß man von Villigster Weltgestaltung außerhalb der westfälischen Idylle so selten hört. René Aguigah

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