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■ QuerspalteApplaus, Applaus!

Merken Sie es? Diese leichte, maienhafte Anmutung des Positiven? Die Vorfreude, daß es von nun an aufwärts geht? Jawohl, wohin man schaut, herrscht in Deutschland, dem Vaterland der Miesmacherei, Aufbruchsstimmung. Es geschehen Dinge, von denen man noch vor kurzem nicht zu träumen gewagt hätte. Kollege Semler hat beispielsweise seinen Schreibtisch aufgeräumt und über Nacht in eine blitzblanke, komplett artikel- und aschenbecherfreie Platte verwandelt. Ein Ereignis, das mindestens so überrascht wie jenes Bild aus Finnland, das Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann gemeinsam freundlich einander zugeneigt zeigt. Wir wollen gewinnen, sagen sie und strahlen in die Kamera. Das war nicht immer so. Aber vergessen wir die bösen Geschichten von gestern. Es gilt nach vorne zu blicken.

Was sehen wir dort? Harmonie allerorten. Wir sehen, daß sogar der trostlose Kanzler Kohl wieder beliebt ist, zumindest bei seiner Partei. Exakt zehn Minuten und eine Sekunde klatschten die Delegierten beim Parteitag. Dann signalisierte der CDU-Vorstand, daß es genug sei, und der Beifall erlosch. Wir sehen, daß die SPD, die bekanntlich die bessere CDU sein will, noch gut eine Minute länger klatschte, als es galt, den NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau aufs Altenteil zu befördern. Die deutsche Politik scheint vor positiver Energie zu bersten. Zustimmung, Einigkeit, Frohsinn – wie lange haben wir das entbehren müssen?

Aber warum erst jetzt die allgemeine Fröhlichkeit? Die geschlossene Freude? Der gemeinsame Rekordapplaus? Bodo Hombach, Wahlkampfberater von Gerhard Schröder, weiß es. Erst jetzt habe man verstanden, daß „Demokratie wie Marktwirtschaft ist“. Seitdem freuen sich alle und klatschen und klatschen und klatschen.

Bis zur Wahl im Herbst. Die gewinnt, wer am längsten klatscht, also die SPD. Schröder wird leitender Angestellter der Deutschland AG, die Demokratie offiziell zur Marktwirtschaft erklärt. Und alles ist gut. Stefan Reinecke

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