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Aufhebung der NS-Urteile nur halbherzig

Bundestag verabschiedet NS-Schlußgesetz. Entscheidungen zu Zwangssterilisationen werden pauschal annulliert. Schwammige Formulierungen bei Urteilen gegen Deserteure. Grüne: Weitere Demütigungen  ■ Von Severin Weiland

Berlin (taz) – Auch nach dem gestrigen Beschluß des Bundestages, mit dem die NS-Unrechtsurteile und alle Entscheidungen zur Zwangssterilisation nun gerichtlich aufgehoben werden können, bleibt es bei der Einzelfallprüfung für Deserteure. Die Grünen konnten sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen, die Urteile gegen Deserteure pauschal aufzuheben. Bereits im Rechtsausschuß des Bundestages hatten sich die Koalitionsparteien und die SPD auf einen Passus geeinigt, nach dem alle Urteile nach dem 30. Januar 1933 annulliert werden, die zur „Durchsetzung oder Aufrechterhaltung“ des NS-Unrechtsregimes aus „politischen, militärischen, rassischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen ergangen sind“. Insgesamt wird die Zahl der Unrechtsentscheidungen auf eine halbe Million geschätzt.

Bei den Urteilen zu „Kriegsdienstverweigerung, Desertion/ Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung“ machte der Rechtsausschuß allerdings eine Einschränkung. In seiner schriftlichen Begründung verweist er auf die Entschließung des Bundestages vom 15. Mai vergangenen Jahres. Darin wurde zwar festgehalten, daß die Urteile der Wehrmachtsjustiz wegen Desertion „unter Anlegung rechtsstaatlicher Wertmaßstäbe auch heute Unrecht waren“. Zugleich war aber auf Druck konservativer Unionspolitiker der Satz eingefügt worden: „Anderes gilt, wenn bei Anlegung dieser Maßstäbe die der Verurteilung zugrundeliegende Handlung auch heute Unrecht wäre.“ Für den Rechtsexperten der Union, Norbert Geis, ist dieser Verweis eine eindeutige Klarstellung. Nur solche Urteile wegen Desertion könnten aufgehoben werden, die aus „politischen Gründen“ erfolgten.

Durch Geis' jüngste Äußerung sieht sich der bündnisgrüne Abgeordnete Volker Beck in seiner Befürchtung gestärkt, der Verweis auf die Entschließung vom Mai 1997 werde nur zu „weiteren Unklarheiten“ führen. Demütigungen von Deserteuren, die im Einzelfall nun die politische Motivation ihrer Tat nachweisen müßten, blieben so bestehen. Noch heute gelten vergleichsweise lapidare Begleiterscheinungen der Desertion – etwa Stehlen von Lebensmitteln oder Zivilkleidung – als strafbar. In der Begründung des Rechtsausschusses heißt es an anderer Stelle denn auch, die Aufhebung gelte nur für solche Urteile, die „eindeutig auf NS-Unrecht beruhen“. Bei Entscheidungen, in denen „Straftaten der allgemeinen Kriminalität im Vordergrund stehen“, sei nur eine „teilweise Aufhebung zuzulassen“.

Nicht durchsetzen konnten sich die Grünen auch mit ihrer Forderung, Urteile nach den unter dem NS-Regime verschärften Homosexuellen-Paragraphen 175 (Unzucht zwischen Männern) und 175 a/Nr.4 (Gewerbsmäßige Unzucht unter Männern) aufzuheben. Nunmehr werden nur jene Urteile beseitigt, die auf eine „menschenrechtswidrige Verfolgung und Beseitigung der Homosexuellen abzielten“. Severin Weiland

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